Persönliche Entwicklung, Karriere, Finanzen

Weniger Stress durch Acht­sam­keit

von Hans-Georg Willmann

„Um ehrlich zu sein, fällt es mir schwer, mich länger auf eine Sache zu konzentrieren. Zu oft werde ich abgelenkt. Immer mehr Mails und Messages, immer mehr digitale Information und Interaktion, immer mehr digitale Meetings … und ich fühle mich immer gestresster und komme nicht zu dem, was eigentlich wichtig wäre.“ So oder ähnlich berichten es mir immer häufiger Klientinnen und Klienten im Coaching. In einer Welt voller Ablenkung scheint uns eine der wichtigsten Ressourcen für unsere Lebensqualität und Leistungsfähigkeit verloren zu gehen: Unsere Aufmerksamkeit. Doch ohne sie, ohne uns auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt, fühlen wir uns schnell ausgepowert und erreichen unsere Ziele nicht.

Achtsamkeit

Achtsamkeit ist die Fähigkeit unsere Aufmerksamkeit im Moment zu halten. Uns bewusst zu entscheiden, unsere Aufmerksamkeit absichtlich auf den gegenwärtigen Augenblick zu lenken, uns nicht ablenken zu lassen und nicht mental abzuschweifen.

Leichter gesagt als getan. Laut Studien greifen wir im Schnitt ganze 88-mal am Tag zu unserem Smartphone. Fast bei jedem zweiten Mal folgt darauf keine bewusste, gerichtete Handlung. Das heißt, wir haben beim Blick aufs Smartphone bereits vergessen, was unsere ursprüngliche Absicht war. Auf diese Weise durchbrechen wir bei der Arbeit – und auch privat – ständig unseren Konzentrationsfluss. Das kostet uns viel Energie und so manches Ziel bleibt dadurch auf der Strecke.

Dass wir unserer Handy-Gewohnheiten verändern müssen, weniger oft checken sollten, ob und wer und was und warum es piept, klingelt oder vibriert, das wissen wir. Wir können aber kaum anders, weil jedes Mal, wenn wir unser Smartphone zücken, eine kleine Glücksdosis aus Endorphin und Dopamin ausgeschüttet wird. Lässt die Wirkung nach, wollen wir mehr. Und schon greifen wir wieder danach.

Da dieser Prozess unbewusst wirkt und wir ihn nicht stoppen können, wenn er abläuft, müssen wir bereits davor klug mit unserer Willenskraft umgehen. Dabei geht es nicht um ein Digital Detox im Wellnesshotel, es geht nicht um ein radikales „Entweder Oder“. Denn auch das sei hier gesagt: Die Digitalisierung und Technologie bieten uns enorme Chancen. Wir können, wir sollten und wir müssen nicht darauf verzichten. Es geht vielmehr um integrierbare Verhaltensweisen für den (Arbeits-)Alltag, die zu gesunden und effizienten Mini-Habits werden.

Umgang mit Unterbrechungen

Im Schnitt werden Beschäftigte alle vier Minuten in ihrer Tätigkeit unterbrochen. E-Mails, Teams- oder Smartphone-Messages, das Telefon oder der Kollege, der uns auf die Schulter klopft – und schon ist unser Konzentrationsfluss abgeschnitten. Was wenige wissen: Nach einer Unterbrechung von nur acht bis 15 Sekunden benötigen wir 15 bis 25 Minuten, um den vorherigen Konzentrationsfaden wieder aufzunehmen. Mit jeder Unterbrechung nimmt zudem die Grundkonzentration ab, weil die Unterbrechungserwartung steigt, die ein Teil der Aufmerksamkeit fesselt.

Die folgenden fünf Tipps helfen dabei, unsere Aufmerksamkeit auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt:

Tipp 1: Erwartungen klären

Tauschen Sie sich über die gegenseitigen Erwartungen zu Erreichbarkeit und Reaktionszeit in der (Team-)Kommunikation aus. Ob im Team, der Familie oder unter Freunden – treffen Sie Absprachen, wann Sie erreichbar sind und wann nicht. Priorisieren Sie dabei die digitalen Kommunikationskanäle. Vereinbaren Sie den Chat, wenn eine schnelle Antwort innerhalb der nächsten Stunde wichtig ist und eine E-Mail, wenn die Antwort bis morgen warten kann. Wer immer für alle erreichbar ist, der wird nie eine konzentrationsintensive Aufgabe zu Ende bringen.

Tipp 2: Umgebung gestalten

Verändert sich die Umgebung, dann verändert sich Ihr Verhalten. Für Aufgaben, bei denen Sie ganz und gar konzentriert bei der Sache sein müssen, können Sie Ihre Arbeitsumgebung aktiv ablenkungsfrei gestalten: E-Mail-Programm ausschalten. Smartphone auf Flugmodus in die Schublade legen. Im Großraumbüro einen Kopfhörer aufsetzen bzw. in ein freies Büro gehen und die Türe schließen. Schaffen Sie sich auf diese Weise Deep Work Phasen, in denen Sie ungestört an einer wichtigen Sache arbeiten können. Beachten Sie dabei: Immer davor mit dem Team absprechen, wie lange Sie ungestört arbeiten werden, bevor Sie abtauchen. Dauer einer Deep Work Phase: Max. 90 Minuten, dann braucht Ihr Gehirn eine Pause.

Tipp 3: Binaural Beats 40 Hz

Nutzen Sie die Technik: Binaurale Beats sind eine Klangwahrnehmung, die von Ihrem Gehirn erzeugt wird. Wenn Sie zwei Töne hören, jeder mit einer anderen Frequenz und jeder in einem anderen Ohr, erzeugt Ihr Gehirn einen zusätzlichen Ton, den Sie hören können. Dieser dritte Ton wird binauraler Beat genannt. Sie hören ihn in der Frequenzdifferenz zwischen den beiden Tönen. Aus der Forschung weiß man, dass Binaurale Beats in den unteren Beta-Frequenzen die Konzentration und Wachsamkeit steigern, sowie Problemlösung und Gedächtnis verbessern. Binaurale Beats mit 40 Hz sind optimal. Die Methode wirkt nur mit Kopfhörer und ist damit sehr gut für das Büro, Homeoffice oder das Lieblingskaffee um die Ecke geeignet. Besonders am Anfang einer konzentrationsintensiven Arbeit hilft die Methode, um den Fokus zu schärfen und in eine tiefe Konzentration zu kommen. Dauer: 15 bis 30 Minuten.

Tipp 4: Eins nach dem anderen

Machen Sie eins nach dem anderen. Multitasking ist ein Mythos. Jeder Versuch der Gleichzeitigkeit endet dort, wo unser Gehirn nicht nur wahrnehmen, sondern auch reagieren muss. Unser Gehirn kann zwar verschiedene Sinnesreize gleichzeitig wahrnehmen, aber es ist nicht in der Lage, parallel auf mehrere Reize zu reagieren, geschweige denn konzentrationsbedürftige Aufgaben parallel zu bearbeiten. Was umgangssprachlich oft als Multitasking bezeichnet wird, ist, zwischen verschiedenen Tätigkeiten hin- und herzuswitchen. Das ist jedoch erstens nicht effektiv: Die Leistungsfähigkeit des Gehirns sinkt dabei um bis zu 40 Prozent, was zu deutlicher Leistungsverschlechterung führt. Forschende sprechen von der sogenannten Doppelaufgaben-Interferenz. Und zweitens anstrengend, weil wir das Gefühl haben, dauernd auf einen neuen Reiz oder eine Information reagieren zu müssen. Wie beim Pingpong – hin und her und hin und her.

Tipp 5: Pause machen

Machen Sie Pause, bevor Sie eine brauchen. Unser Gehirn ist eine Hochleistungsmaschine. Wir können uns, wenn es uns körperlich und psychisch gut geht, circa 90 Minuten lang intensiv auf eine Sache konzentrieren. Dann sinkt unsere kognitive Leistungsfähigkeit und wir sind weniger effizient bei dem, was wir tun. Legen Sie deshalb regelmäßig eine Pause ein. Fünf Minuten genügen oft schon, um sich wieder frisch zu fühlen. Stretchen Sie sich zum Beispiel am offenen Fenster oder laufen Sie ein paar Treppen auf und ab. Sie können auch im Stehen oder Sitzen die Augen schließen und einige Minuten bewusst und tief atmen. Über die tiefe Bauchatmung können Sie sich selbst in einen Zustand der Ruhe bringen. Ihr Gehirn kann sich dabei entspannen

Fazit

Immer mehr Mails und Messages, immer mehr digitale Information und Interaktion, immer mehr digitale Meetings – und wir können uns immer weniger auf das konzentrieren, was eigentlich wichtig wäre. Durch Achtsamkeit, das heißt durch die Fähigkeit, uns bewusst zu entscheiden, unsere Aufmerksamkeit absichtlich auf den gegenwärtigen Moment zu lenken, uns nicht ablenken zu lassen und nicht mental abzuschweifen, können wir das ändern und dadurch nicht nur unsere Leistungsfähigkeit, sondern auch unsere Lebensqualität erhöhen.

Bildquelle:  Aleksandr Koltyrin / istockphoto.com

Über den Autor

Hans-Georg Willmann (Australien/Deutschland) ist Diplom-Psychologe und zertifizierter Coach (Berufsverband Deutscher Psychologen). Seit über 20 Jahren begleitet er Menschen dabei, berufliche und persönliche Ziele erfolgreich umzusetzen. Seine Mission: Menschen weiterbringen. Seine Bücher werden in mehrere Sprachen übersetzt. Der Freiburger lebt seit 2016 in Australien und berät online: weltweit.