Bei persönlichen und globalen Herausforderungen stecken Menschen häufig in ihren eingefahrenen Denk- und Verhaltensmustern fest. Gundula Gwenn Hiller wagt in ihrem Buch „Was wir von anderen Kulturen lernen können“ den Blick über den Tellerrand. Sie reflektiert die deutsche Kultur im globalen Kontext und zeigt auf, wie andere Länder die wichtigsten Lebensbereiche betrachten und angehen. Wie bedeutsam und wertvoll dieses Wissen für jeden einzelnen ist, verrät sie in unserem Interview.
Auf den Punkt gebracht in fünf Sätzen: Worum geht es in Ihrem Buch?
Trotz des technologischen Fortschrittes scheinen die persönlichen und globalen Herausforderungen heute größer denn je. Um sie zu lösen, müssen wir uns auf andere Werte fokussieren: Innovation in der Wirtschaft, Nachhaltigkeit, gute zwischenmenschliche Beziehungen, Leichtigkeit im Job und Gesundheit sind heute wichtiger denn je. Um in diesen Bereichen Veränderungen zu bewirken, müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Wir können von anderen Kulturen ganz andere Herangehensweisen an diese Themen lernen, die uns nachhaltig weiterbringen, glücklicher und gesünder machen. Wenn wir die heutigen Herausforderungen lösen möchten, brauchen wir diese neuen Blickwinkel.
Was ist das Besondere an Ihrem Titel?
„Was wir von anderen Kulturen lernen können“ geht ganz offen und wertfrei mit der eigenen deutschen Kultur und den anderen Kulturen dieser Welt um. Dadurch können Leser:innen eigene Überzeugungen und Verhaltensweisen hinterfragen und in einem globalen Kontext betrachten. Gleichzeitig kann jede:r die Denk- und Handlungsweisen anderer Kulturen kennenlernen. Das erzeugt zum einen gegenseitiges Verständnis und erlaubt es zudem, dass sich die Leser:innen diejenigen Konzepte und Herangehensweisen für das eigene Leben mitnehmen können, die am besten zu ihren Werten und persönlichen Zielen passen. Durch die zahlreichen Beispiele aus dem realen Leben werden die Konzepte für jede:n greifbar. Dadurch können die Ansätze direkt in das eigene Leben implementiert werden und wichtige Lebensbereiche wie Beziehungen, Job, Gesundheit oder persönliches Glück nachhaltig verändern. Darüber hinaus machen Reflexionsaufgaben und Tipps das Ganze anschaulich und praxisorientiert.
Was war der Auslöser für Sie, dieses Buch zu schreiben?
Es gab zwei wichtige Motivationen für mich, dieses Buch zu schreiben. Zum einen ist es mir als Professorin und Trainerin seit vielen Jahren ein Herzensanliegen, interkulturelle Kommunikation zu fördern. Dabei möchte ich zeigen, dass wir Interkulturalität nicht immer nur mit der Problembrille betrachten sollten, sondern dass Menschen aus anderen Kulturen wertvolle Schätze mit einbringen können.
Zum anderen bin ich der Überzeugung, dass wir neue Perspektiven auf uns und die Welt brauchen, um die aktuellen Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft zu bewältigen. Und dazu müssen wir das Rad nicht neu erfinden! Nicht nur ich, sondern meine Studierenden und Kursteilnehmenden machen sich Zukunftssorgen. Klar, nimmt man Wissen und den technologischen Fortschritt als Parameter, so war die Menschheit noch nie so weit entwickelt wie heute. Aber wir spüren gleichzeitig, dass wir noch nie so nah am Abgrund standen.
Und so richtig glücklich sind wir ja auch nicht mit unserer Lebensweise. Schaut man zum Beispiel auf den World Happiness Report, so finden sich nur wenige der wohlhabendsten Länder am oberen Ende, und Deutschland liegt abgeschlagen auf Platz 17. Daher die Frage: Was können wir von den weiter oben platzierten Kulturen lernen? Und was MÜSSEN wir dringend verändern? Auch gibt es eine Reihe an ärmeren Ländern, die besser positioniert sind als reiche Industriestaaten: ich habe mich gefragt, wie kommt das? – und bin dem nachgegangen. Offenbar verfügen diese Kulturen über Weisheitsformen, die ungeachtet von materiellem Besitz oder Bildung Einfluss auf Glück und Wohlbefinden haben. Beim näheren Hinsehen wird deutlich, dass das Gemeinwohl in vielen dieser Kulturen eine große Wertschätzung erfährt, andere wiederum gehen achtsam mit den Ressourcen der Erde um, wieder andere gestalten ihr Leben weise. Dieses Buch möchte Mut machen, indem es zeigt, wie wir die Schwarmweisheit, die auf diesem Globus existiert, für eine bessere Zukunft und für ein glücklicheres Miteinander nutzen können.
Wie viel persönliche Erfahrung steckt darin?
Schon als Kind war ich von der Vielfalt der Menschen, Lebenswelten und Kulturen fasziniert. Sicherlich habe ich deshalb auch Sprachen und Kulturwissenschaften studiert. Ich habe in fünf verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet und fast 60 Länder bereist. Schon immer war ich eine Entdeckerin und meine Neugier treibt mich dazu, immer wieder neue unbekannte Terrains zu erkunden. So gebe ich manchmal Kurse in entfernten Ländern wie Indonesien, und bin ich vor wenigen Jahren auch noch einmal als Gastdozentin für zwei Jahre nach Frankreich gegangen. Da ich zehn Kilometer von der französischen Grenze entfernt aufgewachsen bin, sollte man nun nicht meinen, dass Frankreich ein unbekanntes Terrain für mich sei. Aber das war es! Erstens ticken die Uhren in Südfrankreich anders als bei uns und natürlich ist auch die Lebensart, das berühmte französische savoir-vivre dort ganz unterschiedlich von der unsrigen. Auch das Bildungssystem in Frankreich unterscheidet sich sehr vom deutschen, oft wird es als Positivbeispiel für Bildungsgerechtigkeit innerhalb Europas gehandelt, da so viele junge Menschen dort Abitur machen. Dennoch – und das ist das Gute an Auslandsaufenthalten – wurde mir auch wieder bewusst, was bei uns im Vergleich dazu in der Bildung gut läuft. D.h., ich reflektiere die deutsche Kultur und ihre Ausprägungen seit vielen Jahrzehnten im Vergleich zu anderen, und habe diese Unterschiede auch mit Tausenden von Studierenden und Seminarteilnehmenden betrachtet und diskutiert.
Für wen ist Ihr Buch die perfekte Lektüre, wen wollen Sie erreichen?
Für Menschen, die ihren Horizont erweitern und andere Kulturen kennenlernen möchten, ist das Buch ein „Must-Read“. Vor allem gesellschaftlich und politisch interessierte Menschen werden dabei voll auf ihre Kosten kommen. Besonders wertvoll ist die Lektüre auch für Führungskräfte und Menschen, die im HR-Bereich tätig sind. Die vorgestellten Ansätze sind für die Arbeitswelt von Morgen nicht wegzudenken.
Grundsätzlich kann jede Person, die sich mit Persönlichkeitsentwicklung und Selbstverantwortung beschäftigt, sehr viel aus dem Buch mitnehmen. Eine Reflexion des eigenen Lebens auf globaler Ebene liefert ganz neue Erkenntnisse und auch die vorgestellten Ansätze bergen die Möglichkeit für Quantensprünge in jedem Lebensbereich.
Über die Autorin
Prof. Dr. Gundula Gwenn Hiller lehrt seit 2019 im Fachbereich Beratungswissenschaften den Schwerpunkt interkulturelle Kompetenz und Migration an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Mannheim. Aufgewachsen im Südwesten Deutschlands, pendelt sie seit 17 Jahren zwischen Städten und Welten. Inzwischen hat sie über 50 Länder bereist, in 5 Ländern gelebt und in 3 Ländern studiert. Nach dem Studium der Germanistik/Romanistik in Freiburg sammelte sie erste Berufserfahrungen in der Wirtschaft sowie in einem internationalen Forschungsinstitut. Mit Mitte 30 ging sie zurück an die Universität, wo es inzwischen aufregende neue Fächer gab wie Kulturwissenschaften und Interkulturelle Kommunikation. Promoviert hat sie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Seit damals beschäftigt sie sich mit interkultureller Kompetenz und Diversity, und dabei vor allem die Frage, wie Unterschiede überwunden werden können. Schon als Kind staunte sie über die Vielfalt der menschlichen Erscheinungsformen, Lebenswelten und Ausdrucksweisen. Sie ist der Auffassung, dass sich die Krisen und Herausforderungen der Zukunft nur durch ein Umdenken und neue Perspektiven meistern lassen! Dazu brauchen wir emotionale Intelligenz, innovatives Denken und einen Blick über den eigenen Tellerrand.