Miniserie: Ein Blick über den Tellerrand
Teil 1: Jugaad
Teil 2: Lagom
Teil 3: Pura vida
In Deutschland geht es uns objektiv betrachtet und im weltweiten Vergleich recht gut. Grundbedürfnisse wie die medizinische Versorgung sind gesichert und eine breite Masse kann sich materiellen Wohlstand und Luxusgüter erlauben. Dennoch sind viele Menschen unzufrieden und unglücklich. Woran liegt das? Und wie lässt sich das ändern, sodass wir wieder mehr Glück und Zufriedenheit in unserem Leben verspüren können?
In ihrem neuen Buch „Was wir von anderen Kulturen lernen können“ zeigt Prof. Dr. Gundula Gwenn Hiller Ansätze aus anderen Ländern auf, von denen wir in vielen Lebensbereichen sehr viel lernen können. In diesem Artikel, dem dritten unserer Serie „Ein Blick über den Tellerrand“, lernen Sie, was die wirklich entscheidenden Faktoren für nachhaltiges persönliches Glück und Zufriedenheit sind.
Dazu blicken wir nach Costa Rica. Das in Mittelamerika gelegene Land mit Küstenabschnitten im Karibischen Meer und dem Pazifik liegt beim Pro-Kopf-Einkommen abgeschlagen auf Platz 55. Deutschland rangiert auf dieser Liste auf Platz 18, die Schweiz besetzt den ersten Rang.
Blicken wir auf die World Database of Happiness, die das subjektiv empfundene Glück bemisst, ergibt sich ein anderes Bild: Hier liegt Costa Rica auf dem siebten Platz, Deutschland befindet sich auf Platz 14. Das subjektiv empfundene Glück lässt sich offensichtlich nicht am Pro-Kopf-Einkommen bemessen. Was ist also der Faktor, der die Menschen in Costa Rica unabhängig von materiellen Verhältnissen so glücklich macht und für Wohlbefinden und Zufriedenheit sorgt?
Pura vida - „das reine Leben“
Die Antwort auf diese Frage liegt in der costa-ricanischen Lebenseinstellung pura vida, die sich mit „das reine Leben“, „das pralle Leben“ oder „das echte Leben“ übersetzen lässt. Es geht dabei um das Leben im Augenblick, bei dem Geld keine vordergründige Rolle spielt. Das höchste Gut ist die Lebensfreude, die vor allem mit der gemeinsamen Zeit mit Familie, Freunden und Kindern zusammenhängt. Die Natur und Musik spielen dabei ebenfalls eine große Rolle.
Kein Drang nach Geld oder Erfolg
Die Menschen in Costa Rica sind mit wenig zufrieden. Es gibt keinen Drang nach Geld oder Erfolg, da die wichtigsten beiden Güter für das persönliche Glück zwischenmenschliche Beziehungen und freie Zeit sind. Dementsprechend streben die Menschen dort nach diesen beiden Faktoren, die nachgewiesenermaßen auch gesund halten.
Gelassenheit als Glückfaktor
Ein weiterer Glücksfaktor ist die Gelassenheit. Dadurch wird deutlich mehr Glück verspürt, weil das Glück weniger an äußere Faktoren geknüpft ist. Denn Enttäuschung setzt immer eine gewisse Erwartungshaltung voraus. Die Menschen bleiben stets ruhig und gelassen und nehmen das Leben so, wie es kommt. Sie empfinden selbst kritische Situationen als nur halb so schlimm. Das liegt vor allem in ihrem tiefen Glauben darin begründet, dass sie auch aus den schlechtesten Situationen wieder herauskommen werden.
Ihren Rückhalt finden sie dementsprechend nicht in materiellen Gütern, sondern in der Gemeinschaft und in ihrem ausgeprägten Glauben.
Lebensglück kommt auf die Perspektive an
Daraus können wir schlussfolgern: Wie bei so vielen Dingen kommt es auch beim empfundenen Lebensglück auf die Perspektive an. Wie gehen wir mit dem Auf und Ab des Lebens um? Wir können uns davon entweder einschüchtern lassen oder schwierige Phasen akzeptieren und das Beste daraus machen - in dem Wissen, dass auch wieder andere Tage folgen werden. Die Situation lässt sich häufig nicht direkt ändern. Unsere Perspektive und Sichtweise darauf dagegen schon.
Was bedeutet Wohlstand wirklich?
Gleiches gilt für unsere Definition von wirklichem Wohlstand. Sehen wir Reichtum in Kindern, Familie, Liebe, Wärme und einer intakten Natur? Oder bedeutet Reichtum für uns Karriere, Geld, ein großes Haus und ein teures Auto? Keine Frage, Luxusgüter machen das Leben angenehm und bringen stets gewisse Vorzüge mit sich. Doch wie der Blick auf verschiedene Glücksstudien immer wieder zeigt, haben sie nichts mit langfristiger Zufriedenheit und nachhaltigem Glück zu tun. Ganz im Gegenteil: das andauernde Streben kann wahres Glück verzögern oder sogar komplett verhindern.
Dementsprechend wichtig ist es, sich selbst über die eigenen Werte und Prioritäten im Leben klar zu sein. Was macht Sie wirklich glücklich? Und deckt sich das mit dem, wofür Sie jeden Tag ihre Energie, Zeit und Ressourcen einsetzen?
Über die Autorin
Prof. Dr. Gundula Gwenn Hiller hat über 50 Länder bereist, in 5 Ländern gelebt und spricht 5 Sprachen. Die ausgewiesene Expertin für interkulturelle Kommunikation und Diversität hat in Kulturwissenschaften promoviert und in ihrer Arbeit sowie auf Reisen umfassende Erfahrungen mit den Kulturen dieser Welt gemacht. In über 40 Publikationen und bereits mehr als 100 Workshops in 14 Ländern gibt sie ihr Wissen weiter. Sie lehrt an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit im Bereich Beratung, interkulturelle Kompetenzen und Migration. Für ihre Arbeit wurde sie mit dem BMW Group Award for Intercultural Learning ausgezeichnet.
