Management, Führung

„Home­of­fice wird ein Must-have sein” – Teresa Hertwig im Interview

Wir befinden uns mitten in einer der größten Arbeitsrevolutionen aller Zeiten. Was bedeutet Remote Work für Unternehmen und Personaler – und was für die Mitarbeiter? Ein Interview mit GABAL Autorin Teresa Hertwig.

Die Coronakrise hat Unternehmen vor die Herausforderung gestellt, Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Und diese haben die Vorzüge der neuen Arbeitsweise schätzen gelernt. Wie sollen Unternehmen nun damit umgehen?

Die Unternehmen dürfen sich klarmachen, dass das Thema Homeoffice nicht mehr verschwinden wird. Denn viele Mitarbeiter sind auf den Geschmack gekommen und werden sich nicht mehr fünf Tage die Woche in ein Büro einsperren lassen. Die Firmen sollten sich daher zeitnah auf eine hybride Arbeitsweise vorbereiten und die Kultur entsprechend anpassen.

Auch der klassische Nine-to-five-Modus wird von immer mehr Mitarbeitern als nicht mehr zur Lebenssituation passend abgelehnt. Was bedeutet das für die Zukunft unserer Arbeitswelt?

Wir befinden uns mitten in einem Paradigmenwechsel: Waren früher noch ein hohes Gehalt und ein Eckbüro wichtig, so zählen heute Werte wie flexibles Arbeiten und die Bereitschaft des Arbeitgebers, den Mitarbeiter frei entscheiden zu lassen, wo und im besten Fall auch wann er am produktivsten ist.

„Homeoffice wird ein Must-have sein” – Teresa Hertwig im Interview

Sie sind eine Verfechterin des hybriden Arbeitsmodells. Worin liegen die Vorteile – auch aus Sicht der Unternehmen?

Mit dem hybriden Arbeitsmodell können Firmen das Beste aus beiden Welten vereinen: die Vorteile der Präsenzarbeit im Büro für den Austausch mit den Kollegen oder für Face-to-Face-Meetings im Konferenzraum und auf der anderen Seite konzentrierte Arbeitsphasen in einer mobilen Umgebung. Die Unternehmen haben so auch die Möglichkeit, sich als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren: Künftig wird es ein Must-have sein und kein Nice-to-have mehr, Homeoffice und mobiles Arbeiten anzubieten. Nicht zuletzt wird auch das Problem der Raumknappheit nicht mehr vorhanden sein, weil mit weniger Platz mehr Mitarbeiter in den Räumlichkeiten beschäftigt werden können.

Warum tun sich viele Führungskräfte so schwer damit?

Führungskräfte haben oft über Jahrzehnte gelernt, durch Anwesenheit und Kontrolle zu führen. In der mobilen Zusammenarbeit fehlt ihnen dann auf einmal ein kompletter Sinneskanal: das Sehen. Damit einher geht ein Gefühl des Kontrollverlusts. Unternehmen sollten ihre Führungskräfte darum unterstützen, diese neue Art des Führens zu erlernen – etwa mit einem speziellen Training, das auch den Austausch mit anderen Führungskräften über deren Erfahrungen und Best Practices ermöglicht.

Können Unternehmen ohne die Offenheit für Remote-Arbeit überhaupt noch zukunftsfähig bleiben?

„Homeoffice wird ein Must-have sein” – Teresa Hertwig im Interview

Da sich der Großteil der Unternehmen gerade in der Umstellung zu hybrider Arbeit befindet, würde man als Arbeitgeber wie ein bunter Hund herausstechen, wenn man angibt, kein Homeoffice anzubieten. Auch in der Außenwirkung und im Recruiting könnte sich dieser Faktor negativ auswirken und den ohnehin zunehmenden Fachkräftemangel noch verstärken.

Inwiefern sind die Arbeitnehmer gefordert, wenn sie vermehrt im Homeoffice arbeiten? Welche Skills braucht es dafür?

Hier sind vor allem drei Skills zu nennen: erstens die Selbstorganisation, weil zu Hause der Rahmen und die Rituale des Büros fehlen. Zweitens ist das „laut arbeiten“ wichtig: Ich muss als Mitarbeiter auf mich aufmerksam machen, weil mich meine Kollegen eben nicht mehr sehen können. Dafür ist eine hohe Kommunikationsfähigkeit notwendig. Und drittens, ganz wichtig: die Fähigkeit zur Abgrenzung. Ich muss für Pausen und einen echten Feierabend sorgen, um das Privat- und Arbeitsleben gut voneinander zu trennen.

Wer ist aus Ihrer Sicht nicht für Remote-Arbeit geeignet?

Vorausgesetzt man bringt die genannten Skills mit, sind alle Mitarbeiter mit klassischen „Laptopjobs“ für Remote-Arbeit geeignet. Schwierig wird es bei Dienstleistungsberufen, die direkt am Kunden arbeiten, ebenso bei Mitarbeitern in der Produktion oder in Berufen, die durch die fehlende Digitalisierung noch von Unterlagen im Büro abhängig sind. Für mein Buch habe ich ein Interview geführt mit Thymian Bussemer, Leiter HR Strategie & Innovation bei der Volkswagen AG. Er weist darauf hin, dass selbst vermeintlich nicht homeofficefähige Produktionsmitarbeiter heute schon teilweise remote arbeiten können.

Sie selbst haben ja bereits vor Jahren auf Remote-Arbeit umgestellt und sind als digitale Nomadin in der Welt unterwegs. An welchen Orten haben Sie bislang die besten Arbeitsbedingungen vorgefunden?

Spannenderweise gibt es überall beste Arbeitsbedingungen – nur nicht in Deutschland. Ich habe schon aus den marokkanischen Bergen mit bestem LTE-Internet gearbeitet, in Co-Working-Spaces in Andalusien oder in der sehr gut ausgebauten Infrastruktur in Thailand. Entscheidend ist eine sehr gute Internetverbindung, und die findet man inzwischen in den meisten Ländern vor. Wenn ich aber mit dem Zug von Berlin nach Passau unterwegs bin, habe ich oft kein Netz. Das ist schon schwer zu verstehen.

Was bei der Arbeit im Ausland oft vergessen wird, ist der rechtliche Aspekt: Gerade bei festangestellten Mitarbeitern können steuerrechtliche und versicherungstechnische Probleme auftreten. Für diese Themen arbeiten wir in unseren Beratungen eng mit Fachanwälten für Compliance zusammen. Fakt ist: Immer mehr Menschen arbeiten aus dem Ausland oder haben den dringenden Wunsch danach. Die Politik sollte daher nicht zögern, die Gesetzeslage an die tatsächlich gelebte Arbeitsrealität anzupassen.

Über den Autor

Teresa Hertwig ist leidenschaftliche Remote-Work-Visionärin mit langjähriger Praxiserfahrung in der Führung hybrider Teams und Geschäftsführerin der GRC – GetRemote Consulting GmbH aus Berlin. Mit ihrer Beratungsagentur begleitet sie Unternehmen auf dem Weg von der Präsenz- hin zur Remote-Work-Kultur. 

Hertwigs Berufseinstieg sah aus wie bei vielen: ein bürogebundener Nine-to-five-Job in einer Berliner Online-Marketing-Agentur. 2013 konnte die gebürtige Niederbayerin ihren Chef davon überzeugen, als erste Mitarbeiterin im Unternehmen mobil arbeiten zu dürfen. Infolge der positiven Ergebnisse dieser Zeit wurde ihr die Agenturleitung übertragen und sie hat das ganze Unternehmen auf hybrides Arbeiten umgestellt und geleitet. Als Initiatorin und treibende Führungskraft hinter dieser Entwicklung lernte Teresa Hertwig die Vorteile und Chancen genauso wie die möglichen Stolpersteine dieser Arbeitsweise kennen. Seit Anfang 2018 begleitet sie mit ihrem Beraterteam Unternehmen dabei, eine nachhaltige hybride Arbeitskultur und -struktur zu etablieren, die die Produktivität hoch hält, ganz egal, an welchem Ort deren Mitarbeiter arbeiten. 

Mit ihrer Erfahrung aus der Start-Up-Welt und den Einblicken in die deutschen 100% Remote Unternehmen, bringt sie die Digitalisierung der Führung in den deutschen Mittelstand. Zudem vernetzt sie in ihrem Remote Leadership Circle Führungskräfte über unterschiedlichste Branchen hinweg.