Management, Führung

Mach nicht mehr, mach es anders. 4 wirksame Initia­tiven, die die Arbeits­lust entfes­seln

von Jonas Höhn

Auch wenn ich das C-Wort am liebsten meiden würde – nichts hat unsere Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten so rasant und tiefgreifend verändert wie die Coronapandemie. Plötzlich wird das Homeoffice zum festen Arbeitsmittelpunkt von Millionen von Menschen. Das Konzept des flexiblen Arbeitens kommt schnell nach vorn und ist mittlerweile ein fester Bestandteil unserer Jobwelt geworden ist. Statistisch nehmen immerhin 87 Prozent der Mitarbeitenden die Möglichkeit wahr, wenn sie diese Flexibilität bekommen. Eine große Mehrheit der Erwerbstätigen teilt die Werte und Einstellungen, die immer wieder mit „New Work“ überschrieben werden. Sie möchten ihre Arbeitszeit selbst segmentieren, gerne einer sinnstiftenden Beschäftigung nachgehen sowie Leistungs- und Lernziele selbst definieren. Auch vom Arbeitgeber werden neue Werte gefordert: Gesellschaftliche Verantwortung, ökologische Verantwortung, Diversity und Gleichstellung sind hier die Zauberworte für einen „great Place to work“.

Meine vielen Gespräche mit verschiedenen HR-Verantwortlichen haben gezeigt, dass diese Freiheit beim Arbeiten die Lösung für zukünftige Herausforderungen sein könnte. So sagte mir Cawa Younosi, bis Oktober letzten Jahres Global Head of People Experience bei SAP und einer der gefragtesten HR-Vordenker, dass das Thema Flexibilität aus seiner Sicht das Geheimrezept für den Erfolg und die Zufriedenheit der SAP-Mitarbeitenden ausmacht. Und das geht weit über die Arbeitszeit und den Arbeitsort hinaus. In internen Umfragen hat das Personaldepartment ermittelt, dass Flexibilität gender- und altersübergreifend das am meisten verbindende Element ist.

Flexibilität braucht Regeln

Wer aber glaubt, dass allein ein Angebot an flexiblen Arbeitszeiten zu gesünderen und produktiveren Menschen führt, der liegt falsch. Eine renommierte Studie der Krankenkasse Barmer und der Universität St. Gallen, die 8.000 Erwerbstätige über einen dreijährigen Zeitraum im halbjährlichen Rhythmus untersucht hat, zeigte, dass auch ein klares Grenzmanagement zu einer besseren Arbeitsfähigkeit führt und die Gesundheit der Teams verbessert. Demnach haben Mitarbeitende, die räumliche, zeitliche und kommunikative Grenzmanagement-Taktiken anwenden, knapp 15 Prozent weniger Stress, über zehn Prozent weniger Schlafprobleme und eine über zehn Prozent höhere physische und psychische Arbeitsfähigkeit. Flexibles Arbeiten bedeutet, nicht völlig unstrukturiert in den Tag, die Woche, den Monat zu starten. Es braucht stattdessen gute Voraussetzungen, um zum Beispiel im Homeoffice gut performen zu können, etwa durch einen räumlich abgetrennten Platz. Weiterhin braucht es klare zeitliche Strukturen, wann gearbeitet wird und wann Freizeit, Pausen und Erholung anstehen. Wer im Homeoffice sogar seine Freizeit im hohen Maß aktiv gestaltet, kann aufkommenden Stress erheblich reduzieren.

Arbeitslust: So entsteht sie in der Praxis

Zahlreiche Unternehmen haben schon wirksame Changevorhaben umgesetzt, um die „New Work“ so zu gestalten, dass Mitarbeiterzufriedenheit und Unternehmensperformance in einem positiven Zusammenspiel harmonieren.

VAUDE setzt auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Beim Familienunternehmen VAUDE vom Bodensee mit knapp über 650 Mitarbeitenden wurde entschieden, die Leistung nicht mehr nach Anwesenheit, sondern nach den Ergebnissen zu messen. Als Antje von Dewitz 2009 die Geschäftsführung von ihrem Vater übernahm, arbeiteten manche Führungskräfte mitunter 60 bis 70 Stunden pro Woche. Das hielt vor allem Frauen von der Führungsrolle ab. Sie sahen keine Chance, Job und Privatleben miteinander zu vereinbaren. Von Dewitz, selbst Mutter von vier Kindern, schuf neue Rahmenbedingungen. Sie führte flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit ein, ließ das Unternehmen vom Audit „Beruf und Familie“ zertifizieren und ist selbst als Vorbild vorangegangen, indem sie unter anderem konsequent abendliche Meetings abschaffte.

2009 erwirtschafte VAUDE 50 Millionen Euro Umsatz, mittlerweile sind es über 150 Millionen. Damit zeigt das Unternehmen eindrücklich, dass ein partnerschaftliches und vertrauensvolles Miteinander die Grundlage des Erfolgs sein kann.

Geteilte Führung ist Yello

Ein wirksames Führungsmodell nennt sich „Shared Leadership“ und wird bereits in der Praxis von einigen Unternehmen getestet, so etwa vom Energieunternehmen Yello. Dabei geht es nicht darum, dass sich zwei Leute den Chefsessel teilen. Vielmehr geht es um die Aufteilung der klassischen Aufgaben und eine verteilte Verantwortung für eine bessere Konzentration auf eigene Stärken. So kann sich die eine Führungskraft mehr auf die Managementthemen, die andere mehr auf die People- und Führungsthemen konzentrieren. Während die eine Führungskraft die fachliche Gesamtverantwortung trägt, indem sie sich zum Beispiel auf die Umsetzung der Geschäftsstrategie und die Einhaltung des Budgets fokussiert, trägt die andere die Personalverantwortung, indem sie Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Zusammenarbeiten schafft, coacht, Feedbackgespräche führt und Räume entwickelt, um größtmögliche Wirksamkeit zu ermöglichen. Das Ganze nennt sich dann “People Lead“ und „Business Lead“ – oder wie bei Yello „Product Cluster Lead“.

Stippvisite beim Vorreiter der Chronobiologie

Natürlich gibt es bereits eine Reihe von Unternehmen, die durch Gleit- oder Vertrauenszeit den Mitarbeitenden flexible Arbeitszeiten anbieten. Aber nur wenige berücksichtigen gezielt den zirkadianen Rhythmus der Menschen. Die Klinik Wartenberg in Oberbayern macht es vor. Die Mannschaft hat die Möglichkeit, den Dienstplan dem individuellen biologischen Rhythmus anzupassen. Das Unternehmen startete 2019 das einzigartige Pionierprojekt „Chronobiologie“, nachdem im Rahmen einer Befragung der Mitarbeitenden Schlafprobleme und damit verbundene körperliche Auswirkungen wie Müdigkeit und Mattheit erkannt worden waren. In der durchgeführten Studie zur „Chronotyp-orientierten Personaleinsatzplanung“ wurde mithilfe von Bluttests oder durch Haarproben der Chronotyp der Mitarbeitenden bestimmt – natürlich kostenfrei und auf rein freiwilliger Basis. Ob Lerche, Eule oder Taube – das Team hat heute die Möglichkeit, in seiner jeweils effizientesten Zeit zu arbeiten. Durch den chronobiologischen Arbeitseinsatz klagten von den120 Studienteilnehmern 42 Prozent weniger über Schlafstörungen, bei 26 Prozent ist die Tagesmüdigkeit verschwunden und 20 Prozent verspüren insgesamt einen größeren Enthusiasmus im täglichen Leben. Das sollte doch eine Überlegung wert sein!

Zyklusorientiertes Arbeiten ist noch nicht die Regel

Zyklusorientiertes Arbeiten

Männer haben keine Ahnung von der Periode. Wir mögen theoretisches Wissen haben, bestenfalls, aber wie sich die Menstruation wirklich anfühlt, das wissen wir nicht. In einer niederländischen Umfrage wurde ermittelt, dass 80 Prozent der über 33.000 befragten Frauen zwischen 15 und 45 Jahren trotz Unterleibsschmerzen, mit ziehenden Schmerzen im Rücken und starken Krämpfen im Bauch, zur Arbeit quälen.

Zyklusorientiertes Arbeiten bedeutet aber weitaus mehr, als Rücksicht auf die Menstruation von Frauen zu nehmen. Es bedeutet, die Arbeit mehr an den biologischen Rhythmus anzupassen, um so einerseits das Wohlbefinden von Frauen zu steigern und andererseits die Produktivität in Unternehmen zu erhöhen. Doch gesellschaftliche Trends lassen hoffen, dass die Menstruation ihren historisch stigmatisierten Status nach und nach verliert und dass die sogenannte Menstruationsgerechtigkeit und das zyklische Bewusstsein zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnen.

Einige Pionierunternehmen machen bereits vor, wie sich eine Zyklusorientierung umsetzen lässt. Das Nachhaltigkeitsunternehmen everdrop und The Female Company, ein Label, das sich auf Bio-Periodenprodukte konzentriert, haben sogenannte „Power Days“ eingeführt. Das sind Tage, die Mitarbeiterinnen kommentarlos freinehmen können, wenn sie Schmerzen oder andere Perioden-Beschwerden haben, ohne dass sie dafür einen Krankheitstag einreichen müssen. Die Mitarbeiterinnen haben das Gefühl, gut behandelt zu werden, sind motivierter und resilienter, da offen persönliche Belange thematisiert werden können. Und die Power Days haben auch positive Auswirkungen auf die männlichen Kollegen, da grundsätzlich vielmehr Sensibilität und Offenheit gegenüber gesundheitlichen Belangen geschaffen worden ist, gerade im Mental-Health-Bereich. Dadurch ist eine noch stärkere Kultur des Vertrauens und der Rücksicht entstanden.

Die Zukunft ist flexibel – immer!

Best-Practices wie diese zeigen, dass es an vielen Stellen schon sehr gute Ansätze gibt. Ansätze für eine Reise, bei der wir allerdings nie die Ziellinie überqueren werden. Denn unser Umfeld wird sich weiterhin immer schneller verändern. Dies endlich zu akzeptieren, ist in meinen Augen der erste Schritt. Der zweite Schritt ist es dann, ins Handeln zu kommen und mutig neue Methoden auszuprobieren. Und vielleicht hilft auch mein persönliches Motto, das etwas Druck aus der Sache nimmt:

Mach nicht mehr, sondern mach es einfach anders!

Ich persönlich jedenfalls blicke da zuversichtlich in die Zukunft!

Über den Autor

Jonas Höhn ist Speaker, Podcaster und Gründer der detoxRebels. Sein Auftritt in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ machte ihn und sein Start-up vor einem Millionenpublikum bekannt. Seitdem darf der sympathische Rebell mit seinem Expert:innen-Team bundesweit Unternehmen wie TUI, Vodafone und Peek & Cloppenburg dabei unterstützen, die Rahmenbedingungen für ein besseres Arbeiten zu schaffen. Für eine moderne Unternehmenskultur mit gesunden Mitarbeitenden. Sein Antrieb sind seine Neugier und Leidenschaft für Mental, Physical und Social Health. Mit seinem Podcast „Rebellisch gesund“, in dem Jonas Höhn mit führenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Psychologie und Wirtschaft spricht, sorgt er regelmäßig für neue Impulse und ganz besondere Aha-Erlebnisse. Überraschend anders eben, unterhaltsam und natürlich rebellisch.

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