Persönliche Entwicklung, Karriere, Finanzen

Frau kann Chef

von Lilian Gehrke-Vetter­kind

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“,

so liest man es in Artikel 3 Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes. Doch wenn man einen Blick in die Führungsetagen deutscher Unternehmen wirft, dann sieht man ein recht großes Ungleichgewicht in der prozentualen Verteilung beider Geschlechter.

Zum Thema Frauen in Führungspositionen geistern nach wie vor eine ganze Reihe von ungeprüften Statements durch das Land. Frauen wollen oft gar nicht eine verantwortungsvolle Position übernehmen, ist oft zu hören. Sie scheuen die Verantwortung, trauen sich Führung selbst nicht richtig zu und wollen nicht den Druck „von denen da oben“ spüren. Anfang 2021 schließlich wurde eine heiße Diskussion um die gesetzlich verankerte Frauenquote in den Vorständen börsennotierter Unternehmen geführt. Und auch die breite Öffentlichkeit beteiligte sich an der äußerst kontroversen Debatte. Das war der Zeitpunkt, um nochmal sehr konkret und branchenübergreifend nachzufragen, wie Frauen heute die Arbeitsrealität erleben. Wie erleben Frauen, die noch keine Führungsposition innehaben, die gerade ein Team übernommen oder einer Führungsposition den Rücken gekehrt haben, die Arbeitsrealität? Welche Geschichten haben sie selbst erlebt? Und was können und sollten Unternehmen leisten, um mehr Frauen für Führungspositionen zu gewinnen und zu halten?

Gemeinsam mit Prof. Dr. Armin Trost, der an der Hochschule Furtwangen Arbeits- und Organisationspsychologie lehrt, entstand meine repräsentative Studie „Frauen wollen führen – aber unter anderen Vorzeichen“, deren Ergebnisse schließlich in einem Präferenzmodell mündeten. Hier stellen wir anschaulich dar, worauf Frauen bei der Besetzung einer Führungsposition Wert legen. Unternehmen, die weibliche Talente fördern und ihnen den Weg nach oben ebnen möchten, haben die Chance, die Strukturen und die Unternehmenskultur neu zu bewerten und bei Bedarf anzupassen, damit die Rahmenbedingungen für weibliche Führungskräfte attraktiv sind.

Unterrepräsentanz in den Führungsetagen

Betrachtet man den Frauenanteil in den Vorständen der 160 börsennotierten deutschen Unternehmen (Quelle: Zwischenstandsbericht der AllBright Stiftung, 7. März 2023), trifft man auf mehr als 80 Prozent männliche Vorstandsmitglieder. Unter den insgesamt 703 Vorständen sind 120 Frauen. das entspricht einem Verhältnis von etwa 7:1. Die Unterrepräsentanz in den Führungsetagen ist nicht auf mangelnde Führungskompetenzen oder fehlendes Potenzial von Frauen zurückzuführen. Im Vergleich zu den Männern verfügen sie über mindestens gleichwertige oder sogar höhere Bildungsabschlüsse. Die Voraussetzungen zum Beginn der beruflichen Karriere sind also für beide Geschlechter gleichermaßen gegeben. In den Interviews zu meiner Studie äußerten knapp 90 Prozent der weiblichen Befragten, dass sie durchaus eine Führungsaufgabe übernehmen würden. Und das ist doch eine sehr gute Nachricht!

Sieben Präferenzen: Was Frauen wollen – und was nicht

Ellenbogenkarrieren, Buddynetzwerk-Aufstiege, 70-Stunden-Wochen, komplette Aufopferung für den Führungsjob, Command-and-Control-Führungsstile, Misstrauenskulturen – das alles ist nicht Erstrebenswertes für Frauen. Und übrigens auch für viele Männer nicht.

Frauen wünschen sich eine vertrauensvolle Atmosphäre und erwarten einen respektvollen und wertschätzenden Umgang. Dazu gehört auch, offen über Missgeschicke und Probleme zu sprechen. Machtspielchen untereinander oder ein Profilieren vor dem Management ist für Frauen eher tabu. Aus den Interviews zu meiner erwähnten Studie lassen sich insgesamt sieben Präferenzen herausfiltern, die Führung für sie attraktiv machen.

1. Begleitung in die Führungsrolle

Ganzheitlicher Lebensentwurf - Frau kann Chef

Frauen möchten gut vorbereitet in eine Führungsaufgabe starten. Sie sind sich der großen Verantwortung bewusst und begegnen der Aufgabe, ein Team anzuleiten, mit gesundem Respekt. Sie wissen, dass Vertrauen und Zutrauen, Empathie und die Gabe des Nachfragens und Zuhörens gefragt sind. Auch gegenseitige Erwartungen möchten sie von Anfang an geklärt wissen. Und deshalb setzen sie zum Start in eine Führungsposition auf Mentoring, Coaching oder Weiterbildungsprogramme. Denn sie möchten gerne Vieles von vorneherein richtig machen.

2. Kompetenzzuschreibung

Frauen erwarten, dass sie in ihrer Position uneingeschränkt anerkannt werden, unabhängig von welchem Hierarchielevel. Sie wollen nicht als Führungskraft wahrgenommen werden, „obwohl sie eine Frau sind“, sondern weil sie die dafür notwendigen Skills, die Kompetenzen und die Leistungsbereitschaft mitbringen.

3. Vertrauen durch das Management 

Die dritte Präferenz schließt sich unmittelbar an: Frauen erwarten, dass eine hierarchisch übergeordnete Instanz ihr in ihrer Position und bei ihren Handlungen Rückendeckung gibt. Ständiges Kontrollieren bzw. Infragestellen führt zu Irritationen. Das gilt auch und besonders für Frauen mit Familie. Sie wünschen sich Rückhalt bei der Vereinbarkeit von Führungsaufgaben und Privatleben. Das Management sollte nicht infrage stellen, ob eine Frau mit Kindern in der Lage ist, Führungsverantwortung zu übernehmen.

4. Verantwortung teilen

Frauen befürworten es, unternehmerische Entscheidungen im Team oder mit anderen Führungskräften gemeinsam zu treffen. Kollaboration, voneinander lernen, gemeinsam zukunftsträchtige Entscheidungen treffen – diese Aspekte werden geschätzt. Modelle des Jobsharings in Form von Doppelspitzen, enger Kooperation und geteilter Verantwortung gefallen Frauen ganz gut. Sie sind implizit davon überzeugt, dass geteilte Entscheidungen Unsicherheiten reduzieren und dies am Ende zu besseren Ergebnissen führt.

5. Dienende, partnerschaftliche Führung

Frauen verstehen Führung als partnerschaftliche Dienstleistung und bevorzugen den Servant-Leadership-Ansatz. Ihr Anspruch ist nicht allein das eigene Wachstum. Vielmehr liegt ihnen die Entwicklung des gesamten Teams am Herzen. Führen auf Augenhöhe, offene Türen, eine Rolle als Befähigerin, die sich an den Stärken der Kolleg:innen orientiert bis hin zum „coachendem Führen“ erachten sie im Kontext Leadership als immens wichtig.

6. Psychologische Sicherheit

Die befragten Frauen bevorzugen sehr deutlich eine Unternehmenskultur, in der die Kolleg:innen und das Management menschliche Unvollkommenheit nicht als hinderlich ansehen. Sie wollen sich nicht verbiegen oder besser darstellen, als sie sind. Strategien, um sich eine bessere Position zu verschaffen und sich im Unternehmen erfolgreich zu behaupten, liegen ihnen fern. Tricksen, sich durchboxen, Vorteile erkämpfen – das alles ist nicht ihr Ding. Sie wollen in einer sicheren Umgebung arbeiten, in der alle Menschen wertgeschätzt werden und in der Verschiedenartigkeit anerkannt wird.

7. Ganzheitlicher Lebensentwurf

Die befragten Frauen sind sich einig, dass das Leben nicht nur aus Arbeit und Karriere besteht. Sie wünschen sich die institutionalisierte Flexibilität, um einen eigenen, individuellen Lebens­entwurf realisieren zu können. Dazu gehören Freunde, Familie, soziales Engagement, Hobbys etc. Eine vollumfängliche Aufopferung nur für die Karriere erachten sie nicht als erstrebenswert.

So gehen Frauen gerne in Führung

Unternehmen haben eine Reihe von Stellschrauben, um die sieben Präferenzen anzugehen und weibliche Führungskräfte zu gewinnen. Vertrauen und Transparenz sind wichtig. Für Frauen ist Führung nicht intuitiv. Sie schätzen das Sparring vorab, eine gute Hinführung und Vorbereitung auf die Position und eine anschließende Begleitung in der Startphase. Ein schlüssiges Entwicklungsprogramm, relevante Weiterbildungs­angebote wie Coachings, Mentoring und vielleicht sogar ein*e „Promotor*in“, die/der Türen öffnet und Neulinge im Unternehmen platziert – damit können Unternehmen punkten. Vom Sparring erwarten Frauen Offenheit, auch in Bezug auf mögliche Fallstricke oder informelle Regeln, die in jeder Company eine wichtige Rolle spielen.

Insgesamt kontraproduktiv sind stereotype Rollenbilder: Noch immer herrscht in vielen Köpfen das Bild vor, Männer seien die Macher im Wirtschaftsleben, sie seien entscheidungsfreudig, besonders willens- und durchsetzungsstark. Das Klischee auf Frauenseite geht in die Richtung, sie seien kommunikativer und teamfähiger, vermieden lieber Konflikte und gingen leichter Kompromisse ein. Frauen gefallen solche Rollenklischees nicht. Sie möchten in ihrem Frau-sein und ihren Entscheidungen unterstützt werden. Sie erwarten Rückhalt und das Vertrauen, dass sie die Aufgabe schon meistern werden. Dazu kommt immer wieder der Wunsch nach Feedback. Dieses verstehen sie keinesfalls als Kritik, sondern verbinden damit Entwicklungschancen und mehr Klarheit über ihre Arbeitsweise.

Frauen bevorzugen ein Klima aus Offenheit, Respekt und Flexibilität

Unternehmen sollten daher ein angstfreies Klima schaffen, in dem alle einen wertschätzenden Umgangston pflegen und jede Meinung zählt. Frauen präferieren ein kulturelles Umfeld, das von Offenheit und Respekt geprägt ist. Die Aussage

„Ich will nicht verschiedene Rollen spielen. Ich bin Mensch und bin mit allen meinen positiven Macken da“,

fasst sehr gut zusammen, was die Befragten der Studie zu diesen Aspekten geäußert haben. Leistung bringen ist okay, doch bitte keine 80-Stunden-Wochen – das ist das Credo der künftigen weiblichen Führungskräfte. Konkret bedeutet dies: Frauen erwarten verträgliche und variable Arbeitszeiten, möglichst flexible Arbeitsorte, ein gesundes Miteinander und ein hohes Maß an Selbstbestimmung. Jobsharing-Modelle mit geteilter Führungsverantwortung helfen, diesem Anspruch gerecht zu werden.

Wenn Frauen führen wollen, steckt eine ganz einfache „Wenn-dann-Formel“ dahinter. Wenn es keine Vereinbarkeit gibt, keine Führung in Teilzeit, keine Führung als Tandem, keine flexibleren Arbeitszeiten möglich sind, wenn Frauen nicht die entsprechende Kompetenz zugestanden wird und sie das Gefühl haben, nicht ernst genug genommen und nicht wertgeschätzt zu werden – dann wird eine Managementposition in einem konservativen, patriarchalisch geprägten Unternehmen für Frauen nicht attraktiv genug sein.

Wenn jedoch die Möglichkeit besteht, den Lebensentwurf ganzheitlich zu gestalten, wenn psychologische Sicherheit herrscht und wenn Frauen Kompetenzen gleichermaßen erlebbar zugesprochen werden, dann haben sie Lust auf Führung. Wer als Arbeitgeber maximal attraktiv sein möchte, sollte diese Aspekte ernst nehmen. Gerade die junge Generation fordert all das ein und schaut sehr genau hin, ob das, was nach außen erzählt, auch nach innen gelebt wird.

Bildquelle: Harbucks / istockphoto

Über das Buch:

Frau kann Chef

Frau kann Chef“ liefert einen handfesten Leitfaden, wie Frauen in einer männerdominierten Arbeitswelt auftreten können. Dieses Buch dient allen Frauen als Coach, die mit Freude und Gelassenheit in Führung gehen wollen. Mit erprobten Tipps für jede Situation des Führungsalltags gibt der motivierende Ratgeber jede Menge Sicherheit, um gezielt in die Führungsaufgabe hineinwachsen zu können. Um Leadership nach eigenen Vorstellungen zu lernen, zu leben und zu genießen. Und um eine Führungskraft zu sein, die mit weiblichen Eigenschaften glänzt und nach eigenen Regeln die Richtung bestimmt. Autorin Lilian Gehrke-Vetterkind motiviert alle, die zweifeln, zaudern, zögern, die gerne wollen, suchen und anpacken – und gibt ihnen mit „Frau kann Chef“ ein sofort anwendbares Werkzeug an die Hand, um ihren Wunsch nach Gestaltung und Gleichberechtigung umzusetzen.

Über die Autorin

Lilian Gehrke-Vetterkind ist Systemische Beraterin für Organisationsentwicklung und Change Management, Kommunikationsberaterin nach Schulz von Thun, LINC Personality Profiler Coach und Diplom-Betriebswirtin mit über 20 Jahren Praxis-Erfahrung in der Personalentwicklung und Erwachsenenbildung. Sie ist Inhaberin von Gehrke & Vetterkind Consultants, Kooperationspartnerin der AllBright Stiftung und der Haufe Akademie, Mitglied der Frauen-Netzwerke nushu und FidAR e.V. sowie Mentorin bei der Deutschlandstiftung Integration und bei MentorMe. Außerdem ist sie Initiatorin des Young Female Leadership Program, ein mehrmoduliges Entwicklungsprogramm für ambitionierte Frauen.