Training, Coaching, Beratung

„Zwischen Cortisol und Kaffee­küche“

von Ulrike Pucher

Wie unser Gehirn Unternehmenskultur und Wandel wirklich erlebt.

Ulrike Pucher
Ulrike Pucher

In meinem Beitrag Gehirngerechte Moderation" für das Buchprojekt "Erfolgreich Events moderieren" ging es darum, wie wir Workshops und Veranstaltungen so gestalten, dass sie im Kopf und im Herzen bleiben – und nicht nur im Protokoll. Jetzt denke ich diesen Ansatz weiter: Was, wenn nicht nur Meetings, sondern ganze Unternehmenskulturen gehirngerecht gestaltet wären? Weg von der Einzelsituation hin zur systemischen Ebene. 

Stell dir vor, du wachst morgens auf und denkst: Ich freue mich auf mein Team, auf den Tag, auf meinen Beitrag. Nicht, weil alles perfekt ist – sondern weil du weißt: Hier bin ich richtig. Was wäre, wenn wir Unternehmenskultur gehirngerecht gestalten und sie nicht mehr nur als Aufgabe der Führung sehen, sondern als kollektives Nervensystem

Eine gehirngerechte Unternehmenskultur basiert auf den neurobiologischen Grundbedürfnissen des Menschen. Sie ist auf emotionale Sicherheit ausgerichtet und auf Wachstum angelegt. Sie fördert Mitdenken, Mitgestaltung und echte Zugehörigkeit – nicht nur im direkten Team, sondern im gesamten Unternehmen. Und vor allem: Sie bringt das limbische System nicht ins Schleudern.

Was sich das menschliche Gehirn im Arbeitsalltag wünscht:

Emotionale Sicherheit. Autonomie. Zugehörigkeit. Anerkennung. Entwicklung. Erfolgserlebnisse. Verbundenheit. Fairness.

Diese Bedürfnisse aktivieren u.a. die Neurotransmitter Dopamin, Oxytocin und Serotonin. Sie fördern Motivation, Vertrauen, Kreativität und langfristige Bindung.

Fehlen diese Faktoren – insbesondere in Zeiten von Wandel – überwiegt Cortisol. Die Folge: Stress, Orientierungslosigkeit, emotionale Rückzüge bis hin zur inneren Kündigung.

Eine gehirngerechte Unternehmenskultur erkennt man daran,

  • wie Menschen ein Teammeeting verlassen: gestärkt oder ausgelaugt?
  • wie mit Fehlern umgegangen wird: offen oder mit Angst?
  • wie Führung wirkt, wenn sie nicht im Raum ist.

Kultur ist kein Add-on. Sie ist das Betriebssystem des Miteinanders. Kunden spüren sie, Mitarbeitende leben sie – bewusst oder unbewusst.
Und: Unternehmenskultur kann man nicht verordnen. Aber man kann sie bewusst und kontinuierlich gestalten. Vor allem dann, wenn man versteht, wie unser Gehirn funktioniert.

5 Handlungsfelder für Coaches, Trainer:innen, Moderator:innen und Führungskräfte zur Förderung einer gehirngerechte Kulturentwicklung

1. Emotionale Sicherheit fördern

Neurotransmitter: Oxytocin, Serotonin
Wenn Menschen sich sicher fühlen, sagen sie was sie denken, teilen Ideen, übernehmen Verantwortung und tun, was sie können.

Gestaltungstipp:

  • Offene Kommunikationsroutinen etablieren (z. B. Check-ins, Feedbackformate)
  • Fehler als Lernimpulse sichtbar machen
  • Regelmäßige Reflexionsrunden zur Teamatmosphäre 

2. Autonomie und Entscheidungsfreiräume schaffen

Neurotransmitter: Dopamin
Das Gehirn reagiert auf Wahlmöglichkeiten mit Motivation und Initiative. 

Gestaltungstipp:

  • Rollen und Verantwortungsbereiche gemeinsam definieren
  • Selbstorganisierte Arbeitsformen unterstützen
  • Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit der Mitarbeitenden sichtbar machen

3. Anerkennung und Wertschätzung verankern

Neurotransmitter: Serotonin
Anerkennung stabilisiert das Selbstwertgefühl und stärkt die soziale Bindung.

Gestaltungstipp:

  • Anerkennung ritualisieren: z. B. "Moment der Woche" im Team
  • Erfolge transparent machen – nicht nur KPIs, auch Entwicklungsschritte
  • Individuelle Stärken regelmäßig ins Licht rücken

4. Zugehörigkeit und Verbundenheit erlebbar machen

Neurotransmitter: Oxytocin
Unser Gehirn ist ein soziales Organ. Zugehörigkeit wirkt stressreduzierend und identitätsstiftend.

Gestaltungstipp:

  • Teamrituale etablieren (z. B. gemeinsamer Start in die Woche)
  • Peer-Learning und Mentoring fördern
  • Raum für informellen Austausch bewusst schaffen

5. Entwicklung und Sinnorientierung aktiv gestalten

Neurotransmitter: Dopamin, Serotonin
Entwicklung aktiviert Belohnungszentren. Sinn gibt dem Handeln Richtung und Tiefe.

Gestaltungstipp:

  • Entwicklungsgespräche auf Augenhöhe führen
  • Individuelle Lernpfade sichtbar machen
  • Unternehmenssinn regelmäßig in Verbindung zum Alltagsgeschehen bringen

Fazit:

Unternehmen sind oft mit ihren Transformationsprozessen beschäftigt – während das limbische System ihrer Mitarbeitenden noch irgendwo zwischen Kaffeeküche und Kalenderreorganisation festhängt. Prozesse und Tools ändern sich schnell, unser Gehirn braucht ein bisschen länger. 

Denn: Unser Gehirn bewertet keine Strategie-Agenda. Es bewertet, wie wir uns im Teammeeting fühlen. Gehört? Gesehen? Oder doch eher ignoriert und überfordert? Wir brauchen nicht noch ein Modell einführen, wir sollten verstehen, wie unser Gehirn Kultur verarbeitet.

Transformation gelingt, wenn innere Reife und systemische Reife zusammenspielen. Eine kontinuierliche Investition in die Entwicklung der Mitarbeitenden ist aus meiner Sicht eine der Schlüsselfaktoren für eine dynamische Unternehmenskultur – und zwar nicht erst dann, wenn die Transformation da ist. Eine gehirngerechte Unternehmenskultur schafft die Verbindung: zwischen Mensch und Organisation, zwischen Hirn und Herz.

Über die Autorin

Ulrike Pucher

Ulrike Pucher ist Trainerin, Moderatorin und Coach mit einem Herz für Menschen und Transformation. Sie begleitet seit vielen Jahren Unternehmen mit Leidenschaft für Kulturentwicklung und neue Lernwelten. Als ausgebildete Transformationsmanagerin und Absolventin des „Master of Cognitive Neuroscience“ an der Academy of Neuroscience in Köln, verknüpft sie Neurowissenschaft, Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung zu wirksamen Impulsen für die Praxis.

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Bild: thomas-bethge / istockphoto.com