»Ich und kreativ – niemals!«
Diese Überzeugung trug ich rund 40 Jahre in meinem Gepäck. Während der Schulzeit machte mir der Kunstunterricht immer Spaß, obwohl ich nicht gut zeichnen und malen konnte. So ordnete ich meine Begabung ein, trotz guter bis mittlerer Noten. Ich orientierte mich an den anderen, und die Bilder der anderen gefielen mir deutlich besser. Ich legte die Messlatte entsprechend hoch, sodass ich sie nie erreichen konnte. Mein Fazit aber war nicht, dass die Messlatte hoch lag, sondern dass ich nicht kreativ sei. Worin ich gut war, war das Erstellen und Halten von Referaten. Aber das ordnete ich nicht der Kreativität zu. Musik war aus meiner Sicht der zweite Bereich der Kreativität. Meine Musikkarriere begann weder steil noch endete sie glamourös. Drei Jahre Blockflöte und drei Jahre Geige – allerdings immer in der unteren Liga. Meine anfängliche Begeisterung reduzierte sich nach wenigen Monaten auf das Minimum. Das Üben machte mir keinen Spaß, der Unterricht eigentlich auch nicht. Ich sah keine Fortschritte und hatte einfach wenig Freude am Musizieren. Im Abiturzeugnis findet sich für Musik sogar eine Fünf. Kein Wunder, ich war eben nicht der kreative Typ. Und davon war ich voll und ganz überzeugt.
Man kann auch im Tun kreativ sein
Es dauerte viele Jahre, bis ich verstand, dass ich durchaus viel kreatives Potenzial in mir habe. Somit konnte ich endlich diesen Glaubenssatz aus meinem Rucksack werfen. Kreativität, das erschloss sich mir, erstreckt sich nicht nur auf das, was bildende Künstler, Designer und Musiker tun. Meine Kreativität liegt darin, schnell Ideen und Lösungen zu generieren, wenn es brennt, flexibel auf Situationen zu reagieren und spontan neue Ansätze zu finden. Und zwar nicht nur einen, sondern gleich einen ganzen Blumenstrauß. Außerdem fällt es mir leicht, Konzepte zu erstellen und inzwischen sogar auf dem Flipchart zu malen. Zudem liebe ich es, Ideen auf die Straße zu bringen, und ich finde, man kann auch im Tun kreativ sein.
Kreativität umfasst mehr als künstlerische Hobbys
Heute weiß ich, dass Kreativität viel mehr umfasst als nur künstlerische Hobbys und die klassischen kreativen Berufe. Schöpferisch kann man in fast allen Tätigkeiten sein, im Beruf und in der Freizeit. Auch bei der Herangehensweise an einzelne Aufgaben oder Problemstellungen ist Kreativität im Spiel. Man kann kreativ dabei sein, wie man Menschen mitnimmt und motiviert und wie man Beziehungen führt. Dies sind nur einige Beispiele. All diese Formen von Kreativität sind nicht angeboren. Hierüber gibt es inzwischen unterschiedliche Studien, welche die Auffassung, dass ein irgendwie immer schon vorhandenes kreatives Talent ausschlaggebend wäre, widerlegen.
Gute Ideen sind kein Privileg weniger Menschen.
Kreativität ist im Gehirn angelegt – und jedes menschliche Gehirn kann Fantasien und Ideen hervorbringen. Bekannt ist, dass die linke Hirnhälfte eher für das rationale Denken zuständig ist, die rechte für Kreativität. Diese Aufteilung ist aber stark vereinfachend. Während wir kreativ sind, erfolgen viele neuronale Verschaltungen im Gehirn. Divergentes Denken heißt, dass das Gehirn gleichzeitig zahlreiche Lösungsmöglichkeiten zu einem Problem oder einer Fragestellung sucht. Konvergentes Denken bedeutet, dass man auf der Suche nach der einen korrekten Lösung ist. Welcher Schwerpunkt vorliegt, ist dann bei jedem anders. Intelligenz und viele andere Faktoren sowie eine Veranlagung für Neugier und Offenheit prägen uns und spielen für Kreativität eine wichtige Rolle.
Kleine Veränderungen reichen heute nicht mehr aus
Die Unternehmen suchen heute nach einfallsreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Menschen, die um ihr eigenes Potenzial wissen und mit einer neugierigen Haltung auf die Welt blicken. Die mitdenken und Ideen entwickeln. Kleine Veränderungen reichen einfach nicht mehr aus, um Quantensprünge in der Entwicklung völlig anderer Produktwelten und Ideen zu generieren. Das erfordert Kreativität und divergentes Denken. Freuen wir uns doch darüber, dass der Mensch noch gefragt ist mit seiner Fähigkeit, manchmal auch verrückte Gedanken zu spinnen, die sich im Nachhinein als geniale Erfindungen herausstellen. Und darüber, dass die künstliche Intelligenz im Moment noch Platz für den Menschen mit all seiner Intuition und Fähigkeit zur Verknüpfung von Themen, Gedanken und Inspirationen lässt.
Kreativ sein kann grundsätzlich jeder.
In verschiedenen Bereichen mit den unterschiedlichsten Ausprägungen. Ob ein Tischler eine neue Bearbeitungstechnik oder künstlerische Elemente in seiner Arbeit einbringt, eine Bankerin neue Ideen für die Analyse von Geschäftsplänen entwickelt, ein Künstler erstaunliche Werke schafft, eine App-Designerin eine bahnbrechende Neuerung auf den Markt bringt oder jemand beim Kochen exzellente Rezepte entwirft, besondere Perspektiven beim Fotografieren einfängt, die schönsten Feste zaubert, besonders ausgefallen und ansprechend dekoriert – all das ist Kreativität.