Persönliche Entwicklung, Karriere, Finanzen

Zwischen Finan­zwissen und Finanz­ver­halten

Warum Deut­sch­land ein Mindset-Update benötigt

von Thomas Mathar

Laut einer Umfrage aus dem Sommer 2023* wissen 90% der Deutschen um die Notwendigkeit des verantwortungsvollen Umgangs mit Schulden, 88% verstehen die Wichtigkeit von finanziellen Rücklagen und beinahe ebenso viele wissen, dass sie fürs Alter privat vorsorgen sollten.

Auf der anderen Seite jedoch kann fast ein Drittel unerwartete Ausgaben nicht stemmen, “irrationaler Konsum” nimmt zu und nur wenige sparen für die Zukunft.

Wie passt das zusammen? Auf der einen Seite wissen die Menschen, was sie tun sollten. Aber sie verhalten sich nicht entsprechend.

Financial Wellbeing

Dies ist nur eine der vielen Fragen, die ich in meinem Buch “Financial Wellbeing – Die 10 Money- und Mindset-Bausteine für ein krisenfestes, glückliches und erfolgreiches Leben” angehe.

Bei Aegon UK, einem der größten Finanzdienstleister in Großbritannien, leite ich das Centre for Behavioural Research (oder das Zentrum für Verhaltenswissenschaftliche Forschung) bestehend aus einem kleinen Team aus Psychologen und Verhaltenswissenschaftlern. Platt ausgedrückt untersuchen wir, warum es so vielen Menschen schwer fällt, gute langfristige Entscheidungen zu treffen. Etwas konkreter: Wir untersuchen, wie Instinkte, Emotionen, Kontextfaktoren und Fähigkeiten gutes Finanzverhalten ermöglichen oder verhindern.

“Financial Wellbeing” ist in Großbritannien und den USA zu einem heißen Thema geworden. Und so langsam kommt es auch in Deutschland an. Es geht darum, wiederum kurz ausgedrückt, wie wir heute, morgen und übermorgen ein Leben finanzieren können, das uns Lebensfreude und Lebenssinn gibt. Das heißt:

  • Es geht nicht nur um finanzielle Probleme und Bedürfnisse heute. Sondern auch um die von Morgen.
  • Es geht nicht nur darum, wie wir unser Geld ausgeben und verwalten. Es geht auch darum, wie wir es verdienen.
  • Und es geht nicht nur um Geld. Es geht auch um das richtige Mindset. Wir brauchen Geld auf dem Bankkonto. Aber wir brauchen auch eine bestimmte Einstellung im Kopf.

In meinem Buch beleuchte ich diese beiden Punkte: Money und Mindset.

Ja, wir brauchen Geld. Wir brauchen gute Einkommen, wir müssen gut mit Schulden umgehen, wir brauchen Finanzpolster und wir müssen heute Abschläge für unser zukünftiges Selbst machen (also Altersvorsorge betreiben). Für die längeren Leben, die wir leben, brauchen wir auch andere materielle und immaterielle Vermögenswerte. Welche, und wie wir diese aufbauen, behandele ich in meinem Buch. Weil es uns in der Regel schwer fällt, dieses Wissen umzusetzen, breche ich das richtige Verhalten auf Faustregeln herunter. Faustregeln kann man sich einfach merken und gut umsetzen.

Aber darüber hinaus geht es um Mindset. Wir brauchen zunächst ein Verständnis davon, wie Emotionen, Instinkte und schnelle Entscheidungen immer wieder verhindern, das richtige Verhalten an den Tag zu legen. Soziale Vergleiche spielen hier zum Beispiel eine Rolle. Häufig geben wir Geld aus für Dinge (oder verdienen wir unser Einkommen auf eine Weise), die wir eigentlich gar nicht wollen oder brauchen. Aber wir beobachten, dass andere in unserem Umfeld es so machen. Besserer Umgang mit Geld heißt zum Beispiel, besser mit sozialen Vergleichen umzugehen. Wir können nicht nicht vergleichen. Aber wir können besser vergleichen.

In meiner Forschung am Centre for Behavioural Research habe ich vor ca. 3 Jahren etwas Faszinierendes festgestellt: Menschen mit einem langen Zeithorizont gehen anders mit ihrem Geld um, als Menschen mit einem kurzen Zeithorizont. Bildung, Einkommen, Wohlstand, Geschlecht, soziale Herkunft etc. spielen kaum eine Rolle. Einzig die Fähigkeit, eine Verbindung mit seinem zukünftigen Selbst herzustellen, beeinflusst, wie viel wir fürs Alter sparen, welche Versicherungsprodukte wir kaufen, wie viele Schulden wir haben und wie wir haushalten.

Hier ist die Ungerechtigkeit:

Viele Menschen finden es schwer, langfristig zu denken. Und manche Menschen finden es leicht. Letztere aktivieren, neurowissenschaftlich ausgedrückt, ihr prospective brain (auf Deutsch vielleicht das “vorausschauende Gehirn”). Dabei handelt es sich nicht um einen einzelnen Teil des Gehirns, sondern um eine “Kooperation” zwischen präfrontalem Kortex, Hippocampus, lateraler und medialer präfrontaler Kortex sowie anderen Teilen des Gehirns.

Die positive Nachricht: Das prospective brain kann man trainieren. Spitzensportler tun dies zum Beispiel als Teil ihres Mentaltrainings. (Als Andre Agassi nach seinem ersten Wimbledon-Sieg gefragt wurde, wie sich der Sieg anfühlt, sagte er: “Ich habe Wimbledon schon 10.000 Mal gewonnen).

Prospective Hindsight

In unserer akademischen Partnerschaft mit der University of Edinburgh haben wir einen Ansatz entwickelt, der es Menschen hilft, eine Verbindung mit ihrem zukünftigen Selbst aufzubauen. Der Ansatz heißt “Prospective Hindsight” (oder Vorausschauender Rückblick). In meinem Buch liest man darüber mehr. Kurzum, es geht um eine Denktechnik, bei der man sich in die Zukunft versetzt und von diesem zukünftigen Standpunkt aus zurückblickt, um heutige Entscheidungen besser beurteilen zu können. Indem man sich vorstellt, bereits in der Zukunft zu sein und auf gegenwärtige Entscheidungen zurückzublicken, kann man mögliche Konsequenzen besser antizipieren und so fundiertere Entscheidungen in der Gegenwart treffen. Der Denkansatz hilft einem auch dabei, Klarheit zu gewinnen über die Dinge, die einem Lebenssinn (die einen kompetent, nützlich oder wertvoll fühlen lassen) und Lebensfreude geben (die also das Herz erwärmen, echte Begeisterung auslösen und zu innerem Wohlgefühl beitragen).

Bildungskampagnen können in der Regel keinen langfristigen Erfolg vorweisen

Noch im März gaben Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger bekannt, mit der von ihnen ins Leben gerufenen Initiative zur Finanziellen Bildung den Stand der finanziellen Bildung zu verbessern (eine ähnliche Bildungsstrategie gibt es schon länger in Österreich). So nobel und ehrenwert die Anliegen der Politik sind – und ähnliche Anliegen sieht man ja auch bei Bildungskampagnen von Banken und anderen Finanzdienstleistern –, eine auf rein technisches oder faktisches Wissen reduzierte Bildungskampagne ist zum Scheitern verurteilt. Tatsächlich zeigen Studien immer wieder, dass Bildungskampagnen in der Regel keinen langfristigen Erfolg vorweisen können.

Wir brauchen nicht nur Fachwisssen, sondern vor allem die richtige mentale Einstellung

Um einen wirklich besseren Umgang mit Geld zu entwickeln, brauchen wir nicht nur das entsprechende Fachwissen, sondern vor allem die richtige mentale Einstellung und Werkzeuge, die uns dabei helfen, unser Wissen in tatsächliche Handlungen umzusetzen. Es geht um die Verbindung von "Money" und "Mindset", und darum, wie man seine individuelle finanzielle Zukunft aktiv gestaltet, anstatt von kurzfristigen Emotionen und Impulsen gesteuert zu werden. Das alles gelingt besser, wenn man langfristig denkt. Und das wiederum gelingt mit einer guten Prise Selbstwissen über das, was uns glücklich macht.

__________

 

* Die Studie wurde Anfang August mit Bilendi & respondi, einem der führenden Anbieter für Online Market Research Services in Europa, durchgeführt. Die Ergebnisse befinden sich hier: https://www.10bausteine.de/financial-wellbeing-blog/finanzielle-bildung-ist-unwissenheit-wirklich-das-problem-oder-nur-eine-faule-ausrede

Bildnachweis: Peshkova / istock

Über den Autor

Dr. Thomas Mathar leitet seit 2017 das Zentrum für Verhaltensforschung bei Aegon UK, einem der führenden Anbieter von Investitions- und Finanzdienstleistungen Großbritanniens. Hier untersucht er in großen Studien die Instinkte, Motivationen, Fähigkeiten und Umweltfaktoren, die Menschen dazu bringen – oder davon abhalten –, langfristig bessere Lebens- und Finanzentscheidungen zu treffen.
Er promovierte in Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und machte später eine Zusatzausbildung in Verhaltensökonomie an der London School of Economics.
Dr. Tom, wie man den promovierten Anthropologen in Großbritannien nennt, ist im deutschsprachigen Raum zunehmend bekannt als Speaker, Trainer und Podcast-Gast.