Persönliche Entwicklung, Karriere, Finanzen

Interview mit Prof. Dr. Christian Klein, Professor für Sustainable Finance der Univer­si­tät Kassel.

von Jennifer Brocke­r­hoff

Seit mehr als 10 Jahren beschäftigen Sie sich intensiv mit dem Thema Sustainable Finance, lange bevor es den Mainstream erreicht hatte. Wie haben Sie den Wandel der letzten Jahre erlebt?

Es ist natürlich unglaublich, was sich gerade in den letzten 5 Jahren in diesem Themenbereich getan hat. Als wir begonnen haben, uns in unserer Forschung ausschließlich auf „Sustainable Finance“ zu konzentrieren, war dies noch ein absolutes Nischenthema. In Theorie und Praxis haben sich eine Handvoll Menschen damit auseinandergesetzt. Dass Nachhaltige Finanzwirtschaft nicht nur Mainstream, sondern sogar das ganz große Ding wird, hätte ich nie zu träumen gewagt.

Und woran liegt das?

Ich würde jetzt gerne sagen, dass es daran liegt, dass die Menschheit erkannt hat, dass wir viel ändern müssen, wenn wir diese Erde unseren Kindern lebenswert übergeben wollen. Aber die Wahrheit ist wohl, dass der Regulator das Thema ernst nimmt und hier viel Regulatorik auf den Weg gebracht hat. Hintergrund ist das Pariser Klimaschutzabkommen. Meiner Meinung nach nimmt zumindest die EU-Kommission das Thema sehr ernst und will die Ziele erreichen.

Wie wird es weitergehen?

Sustainable Finance ist gekommen um zu bleiben. Das ist kein Hype und auch kein Gutmensch-Thema mehr. Hier geht es inzwischen um die Zukunftsfähigkeit vieler Branchen, also um Risikomanagement und strategische Entscheidungen.

Auf Ihrer Homepage steht in Großbuchstaben: *Geld rettet die Welt* Angesichts der Vielzahl der globalen Krisen eine gewagte Aussage. Wie kann Ihrer Meinung nach unser Geld dazu beitragen, die Welt zu retten?

Ich sehe das anders: Ohne Geld wird es nicht möglich sein, die Welt zu retten. Das Erreichen der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens oder das Retten der Biodiversität wird richtig teuer werden. Da reichen keine Steuergelder, wir müssen die Finanzflüsse auf den Kapitalmärkten umleiten, wenn wir das ernst meinen.

Mit dem EU-Aktionsplan sollen Kapitalflüsse in nachhaltige Investitionen umgelenkt werden. Neue Gesetze sollen für mehr Transparenz sorgen, damit es Verbrauchern erleichtert wird, ihr Geld nachhaltig zu investieren. Wie gut läuft die bisherige Umsetzung Ihrer Meinung nach?

Prinzipiell bin ich ein großer Fan der Regulierung. Die Taxonomie ist beispielsweise ein Game-Changer, mit ihrer Hilfe könnten wir es wirklich schaffen, die anspruchsvollen Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union zu erreichen. Das Problem in der Umsetzung, welches wir gerade beobachten können, hat meiner Meinung nach zwei Gründe: Erstens ist beispielsweise bei der Berichterstattung, die von den Unternehmen gefordert wird, viel neu. Es müssen neue Daten gesammelt, Prozesse definiert und neue Experten eingestellt werden. Das kostet Zeit und Geld. Aber dies ist eben im Moment eine Übergangsphase, da müssen wir durch. Zeitnah wird das funktionieren. Das zweite Problem ist, dass die wirklich umfangreiche und komplexe Regulierung sehr schnell entwickelt und umgesetzt wurde. Vieles ist noch gar nicht ganz fertig, soll aber bereits angewendet werden. Und auch ein paar Dinge müssen noch einmal überdacht werden. Das Problem aber ist, dass weder der Klimawandel noch die Biodiversität warten, bis wir in Ruhe alles definiert haben. Deshalb sehen wir in diesem Bereich, dass vieles mit heißer Nadel gestrickt wird. Auch das wird sich noch einspielen.

Greenwashing-Vorwürfe bei Finanzprodukten sind leider an der Tagesordnung, häufig bei großen Investmenthäusern. Was sind die Gründe hierfür und was raten Sie Produktanbietern für die Zukunft?

Die Greenwashing Debatten sind richtig und wichtig. Allerdings wird auch oft über das Ziel hinausgeschossen. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ war zu Beginn nicht definiert und sicher haben wir hier bei einigen Produkten – sagen wir mal –  sehr mutige Interpretationen dieses Begriffs gesehen. Meine Wahrnehmung ist jedoch, dass sich das inzwischen eingespielt hat, auch wieder Dank der Regulierung. Viele Greenwashing-Vorwürfe, gerade in den Medien, halte ich für überzogen oder es handelt sich schlicht und ergreifen um Missverständnisse. Ich würde mir teilweise eine objektivere und konstruktivere Berichterstattung wünschen. Vielleicht hat es etwas mit uns Deutschen zu tun: Mein Eindruck ist, dass wir Deutschen unglaublich dogmatisch sind. Wenn es „Nachhaltig“ heißt, muss es aber auch mindestens „vegan“ sein und darf auf keinen Fall Spaß machen. Ich sehe das anders.

Siegel und Ratings für nachhaltige Finanzprodukte sind grundsätzlich eine gute Orientierungshilfe. Im Frühjahr 2023 hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA in einer Analyse mit 3.000 ESG-Fonds festgestellt, dass mehr als 99 Prozent (!) die Bedingungen für das EU-Ecolabel nicht erfüllen würden. Wie erklären Sie sich das?

Wir haben im Auftrag der EU-Kommission vor drei Jahren eine ähnliche Studie durchgeführt und sind zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Der Grund hierfür ist unter anderem, dass die Kommission wirklich sehr streng ist, was die Anforderungen an Produkte angeht, die dieses Siegel haben wollen. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass für die Einstufung der Produkte Daten benötigt werden, die die Produktanbieter noch gar nicht vorliegen haben.

Die Zahl der Aktionäre in Deutschland ist im letzten Jahr auf ein Rekordhoch gestiegen. Vor allem junge Aktionäre unter 30 gehören zu den Neulingen der insgesamt ca. 13 Millionen Aktienbesitzer. Sind die durchschnittlichen jährlichen Aktienrenditen der letzten Jahrzehnte angesichts der zunehmenden Klimaerwärmung und deren Folgen auf die globale Wirtschaft realistisch für die Zukunft?

Das ist eine schwere Frage, die ich als Wissenschaftler nicht seriös beantworten kann. Als Mensch kann ich sagen, dass mich gerade viel, was auf den Aktienmärkten passiert, an das Jahr 2000 vor dem Platzen der Dotcom-Blase erinnert…

Aktuelle Umfragen ergeben, dass eine Vielzahl von Menschen der Überzeugung sind, dass nachhaltige Geldanlagen die Gesellschaft und Umwelt positiv beeinflussen. Ist diese Annahme korrekt?

Wir haben noch sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten, wenn wir über Nachhaltige Anlageprodukte sprechen. Es stimmt, wir wissen aus unseren Umfragen, dass viele Endverbraucher und Endverbraucherinnen denken, dass ein „Nachhaltiger Fonds“ nur Windradhersteller und Biobauernhöfe enthält. Und wenn sie dann feststellen, dass Unternehmen wie Amazon, Apple, Alphabet oder Meta enthalten sind, hören wir schnell den „Greenwashing!“ Vorwurf. Wir müssen bei Produkten differenzieren, ob sie Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen und beispielsweise darauf achten, ob die Unternehmen ein 1,5-Grad-Ziel-Strategie haben. Oder ob der Fonds den Anspruch hat, eine positive Wirkung auf ein Nachhaltigkeitsziel zu haben.

Für den Bundesverband der Verbraucherzentralen haben Sie in 2021 gemeinsam mit Prof. Dr. Marco Wilkens ein viel beachtetes Gutachten veröffentlicht zum Thema Wirkung nachhaltiger Geldanlagen. Wie entsteht Wirkung?

Das ist wirklich eine komplexe Diskussion und in vielen Punkten sind wir noch ganz am Anfang. Aber in der Wissenschaft führen wir gerade sehr viel Forschung dazu durch und in der Praxis wird inzwischen sehr reflektiert diskutiert. Ich bin davon überzeugt, dass wir in absehbarer Zeit viel weiter und schlauer sein werden.

Apropos Aufklärungsarbeit: Die aktuelle Bundesregierung thematisiert erstmals Ideen zu einer Aktienrente, während ein Schulfach Finanzen nach wie vor auf sich warten lässt. Müsste es nicht zusätzlich Bildungsangebote zum Thema nachhaltige Geldanlagen geben?

Absolute Zustimmung. Deutschland ist leider weltweit nicht gerade an der Spitze, wenn es um „Financial Literacy“, also um finanzielle Bildung geht. Im Gegenteil. Hier sollte viel mehr in Bildungsangebote investiert werden und ja, wir sollten bereits in den Schulen damit anfangen.

Gerade viele junge Menschen engagieren sich immer mehr für den Klimaschutz - teilweise aktivistisch, wie Anfang 2023 in meiner Region bei der Besetzung der Stadt Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler. Sie sind selbst Familienvater und haben drei Söhne. Welche Diskussionen über den Klimawandel führen Sie am Küchentisch und was können wir von der jüngeren Generation lernen?

Die junge Generation geht nach meiner Erfahrung sehr verantwortungsvoll und reflektiert mit dem Thema um. Zwei meiner drei Söhne sind Vegetarier, wir diskutieren über den CO2-Abdruck unserer Urlaube, aber wir bleiben auch entspannt.

Ecological-Grief, zu deutsch ökologische Trauer, ist ein Phänomen, welches die Machtlosigkeit und Ohnmacht von Menschen beschreibt, die von den drohenden Folgen des Klimawandels überwältigt werden. Häufig sind gerade junge Menschen betroffen. Ist Ihnen dieses Phänomen bei Ihrer Arbeit als Professor bereits begegnet und wie gehen Sie damit um?

Ich bin ja viel auf Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen und halte Vorträge. Mein persönliches Lebensmotto ist, dass ich die Welt retten und dabei so viel Spaß wie möglich haben will. Und ich bin Optimist. Ich versuche das vorzuleben und hoffe, dass es etwas abfärbt.

Werfen wir zum Abschluss einen Blick in die Zukunft: Stellen Sie sich vor, wir haben das Jahr 2030: Was glauben Sie, wären die drei Dinge, die sich im Bereich Sustainable Finance zum Besseren verändert bzw. etabliert haben sollten?

Erstens bin ich davon überzeugt, dass 2030 vieles von dem, was heute unter „Sustainable Finance“ läuft, nur noch „Finance“ und damit selbstverständlich sein wird. Zweitens wäre es schön, wenn all die Themen, die unter „Sustainable Finance“ diskutiert werden, auch Einzug in die Ausbildung unseres finanzwirtschaftlichen Nachwuchses gefunden hat. Und wünschen würde ich mir, dass sich drittens die Welt auf einen globalen und ehrgeizigen CO2-Preis geeinigt hat – und wir viele von den „Sustainable-Finance“-Ansätzen gar nicht mehr benötigen. 

Herzlichen Dank für das Interview!

Über die Autorin

Jennifer Brockerhoff eine leidenschaftliche Beraterin für nachhaltige Geldanlagen. Sie ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Finanzbranche tätig. Nach der klassischen Bankausbildung arbeitete Brockerhoff für 10 Jahre in einer Privatbank – zuletzt als Wertpapierspezialistin – und machte sich im Jahr 2009 inmitten der Finanzkrise selbstständig. Neben ihrer Tätigkeit als Finanzberaterin ist sie Autorin, Referentin und gerne zu Gast bei verschiedenen Podcasts. Vor allem der differenzierte Blick auf das Thema Nachhaltigkeit ist ihr wichtig.