Ich stehe in einem Seminarraum vor einer Gruppe Führungskräfte. Die allermeisten sind nicht freiwillig hier. Mit leichtem Druck haben Vorgesetzte oder Personalabteilungen die Anwesenden von ihrer Teilnahme am Führungsseminar überzeugt.
Die Uhr tickt – in den ersten 30 Minuten werden die Teilnehmenden entscheiden, ob es sich lohnt am heutigen Tag aufmerksam zu sein. Der Führungsalltag ist anstrengend und das Seminar eine willkommene Unterbrechung.
Für die Führungskräfte ist es verführerisch in den Energiesparmodus zu schalten und den persönlichen Autopiloten zu aktivieren. Der Autopilot ist eine Art dämmriger Zustand, bei dem die Gedanken frei umherschweifen und nur noch Grundbedürfnisse wie Hunger, Durst und Harndrang wahrgenommen werden. In diesem Modus verschwimmt das Geschehen im Seminarraum mit dem Hintergrundrauschen der eigenen Gedanken. Wer im Autopilot ist, nimmt vieles nur noch sehr oberflächlich wahr und erreicht wenig Tiefgang. Der Autopilot ist nicht nur für das Seminar selbst sondern auch für dessen Reputation schädlich.
Die Anwesenden im Zustand des Autopiloten, werden nach dem Seminar erzählen, dass so ein Führungsseminar ja gar nichts bringt und man die Zeit besser anderweitig verbracht hätte. Dieses Szenario weckt meinen Ehrgeiz. Die Zeit läuft, ich habe 30 Minuten, um zu überzeugen.
In 3 Schritten überzeugen
In den ersten 30 Minuten muss es mir gelingen die teilnehmenden Führungskräfte von der Sinnhaftigkeit der Weiterbildung zu überzeugen. Wenn mir das gelingt, dann habe ich eine gute Chance, dass die Aufmerksamkeit bis zur Mittagspause hoch bleibt. Um dieses Vertrauen zu bekommen, müssen meine Teilnehmenden drei Annahmen als erfüllt ansehen:
- der Dozent hat Autorität
- sie selbst sind wichtiger und wertgeschätzter Teil des Tages
- die Inhalte haben Businessrelevanz
Doch wie erreiche ich alle drei Ziele in nur 30 Minuten?
Autorität entsteht durch Handeln
Viele TrainerInnen glauben ihre Autorität durch das stolze Herunterbeten der langen Liste an Ausbildungen belegen zu müssen, die sie absolviert haben. Ehrlich gesagt ist das vor allem ein Beleg dafür, dass sich jemand gerne weiterbildet. Das ist keine schlechte Eigenschaft, hat aber mit gelebter Autorität nicht besonders viel zu tun.
Autorität entsteht durch Klarheit, Ambition und Überzeugung in den eigenen Handlungen. Am Beginn eines Seminartages kann dies z.B. leicht durch die Formulierung der Tagesziele erzeugt werden. Wenn die Tagesziele klar und ambitioniert formuliert sind sowie mit Überzeugung vorgetragen werden, dann ist dies bereits ein Meilenstein bei der Anerkennung der Autorität. Wenn sich der Trainer dann noch die Zustimmung der Teilnehmenden zu den von ihm definierten Zielen einholt, dann wurde der Dozent von der Gruppe zur Leitung des Tages autorisiert.
Dieses Vorgehen hat nur teilweise mit inhaltlicher Relevanz zu tun, sondern ist vor allem ein symbolisches Ritual um den Teilnehmenden und dem Trainer Sicherheit zu geben. Im Nachgang kann man sich immer noch um die inhaltliche Feinjustierung der Tagesziele kümmern. Ist der Trainer einmal autorisiert, kann er Inhalte und Gruppendynamik viel einfacher steuern.
Teilhabe entsteht durch Beitragen
Der nächste Schritt besteht darin die Anwesenden zu Teilnehmenden zu machen. Die Vorstellungsrunde lässt sich sehr gut für eine erste Interaktion nutzen. Die Teilnehmenden können z.B. aufgefordert werden Mini-Präsentationen zu sich selbst vorzubereiten. Entscheidend ist, dass diese Präsentationen von vorne aus der Rolle des Dozenten vorgetragen werden. Durch diese Handlung wird deutlich, dass alle Anwesenden Teilhabe an der Gestaltung haben und ihre Sichtweise gefragt ist.
Sehr gerne frage ich bei der Vorstellung 3 persönliche Stärken der Teilnehmenden ab, dann wird klar, dass es um ein wertschätzendes Miteinander geht bei dem jeder positiv gesehen und unterstützt wird. Auch hier sollten die Ergebnisse nicht überbetont werden sondern der Symbolkraft der Handlung vertraut werden.
Businessrelevanz entsteht durch Fragen
Der Bezug zum Führungsalltag entsteht durch die Nutzung offener Fragen. Der Trainer fragt, z.B. „Welche Ziele haben sie sich für das Seminar gesetzt?“, „Was möchten sie damit im Alltag erreichen?“ oder „Was ist aktuell die größte Herausforderung in ihrem Führungsalltag?“.
Keine Angst es müssen nicht alle Probleme durch das Seminar gelöst werden, aber es ist wichtig die größten Painpoints der Teilnehmenden zu kennen, um die Relevanz des Seminars daran ableiten zu können.
Die Teilnehmenden skizzieren ihre Ziele und leiten daran ihre Fragen an die Inhalte des Seminars ab. Damit ist der Fokus für das Seminar gesetzt und die inhaltliche Arbeit kann beginnen.
Im Regelfall können an dieser Stelle nicht alle Führungskräfte eine gute Antwort auf die Frage nach den Zielen geben. Das ist nicht schlimm, daran wird im Folgenden gearbeitet werden. Wichtig ist, dass mit diesem Vorgehen klar geworden ist, dass die Inhalte einen direkten Bezug zum Führungsalltag haben werden.
Business first und die Aufmerksamkeit bleibt
Puh, die ersten 30 Minuten sind geschafft und die Aufmerksamkeit ist hergestellt. Jetzt können wir entspannt nachlegen und immer tiefer in die Inhalte einsteigen. Weiterhin gilt „Business first“, d.h. es braucht eine weitere vertiefende Klärung des Businesskontextes und der eigenen Rolle darin, damit die Teilnehmenden bei der Stange bleiben. Diese Vertiefung legt eine optimale Grundlage für die Vermittlung der Führungsthemen.
Oft werden bis zu diesem Punkt vor allem Symptome von den Teilnehmenden berichtet, z.B. „Ich habe zu viel auf meinem Schreibtisch“, „die Kommunikation stimmt nicht“, „ich weiß nicht, was ich genau machen soll“, „ich bin frustriert“.
Die Symptome sind sehr abstrakt und nur schwer zu bearbeiten. Der nächste Schritt besteht darin die Dynamiken, die diesen Symptomen zugrunde liegen, sichtbar und damit bearbeitbar zu machen. Wichtige Helfer sind dafür Tools wie z.B. Business Canvas, SWOT, SMART, OKR oder Balanced Scorecard. Diese Tools können in gekürzten Versionen angewendet werden, um den Einsatz effizient zu gestalten.
Als Ergebnis erhält man wesentlich konkretere Themen wie: „ich kümmere mich zu viel um einen Standort“, „die Einarbeitung der neuen Teamleitung war unvollständig“ oder „den neuen Projektplan haben wir nicht ausreichend abgestimmt“. Diese sehr konkreten Themen kann man gut bearbeiten und einer nachhaltigen Lösung zuführen.
Aber eigentlich sollte das doch ein Kommunikationsseminar werden?
Nach der Offenlegung der konkreten Führungsthemen sind die Führungskräfte wissbegierig, wie sie ihre Businessherausforderungen mit Hilfe guter Kommunikation und organisatorischen Strukturveränderungen lösen können.
Die Führungskräfte beginnen die nun angebotenen Tools und Methoden für ihre konkreten Fälle einzusetzen. Sie entwickeln, je nach Schwerpunkt des Seminars, Lösungsszenarien in die sie z.B. Feedback, Moderationstechniken, Leitfäden zur Gesprächsführung, Kommunikationspläne oder Prozessverbesserungen einfließen lassen.
Zum Abschluss des Seminars definieren wir konkrete Transferziele für die Umsetzung. Durch das Arbeiten an den Themen der Teilnehmenden haben die Ziele eine hohe Alltagsrelevanz. Die Teilnehmenden sind hochmotiviert ihre Ziele zu erreichen und dabei die neu erlernten Methoden einzusetzen. Damit die Verbindlichkeit noch etwas gesteigert wird, verabreden wir uns in 6 Wochen zu einer Videokonferenz als Follow-Up. Dort werden dann alle erzählen, wie es ihnen bei der Erreichung ihres Ziels ergangen ist und darauf freuen wir uns schon jetzt.
War das alles?
Um wirklich Business Exzellenz zu erreichen stellt „Business first“ noch einen weiteren Aspekt in den Mittelpunkt. Viele Führungsseminare legen den Schwerpunkt auf Mindset und formale Richtigkeit und hoffen darauf dadurch inhaltliche Exzellenz zu erreichen.
In einem Seminar zu herausfordernden Mitarbeitergesprächen wird z.B. der Schwerpunkt darauf gelegt eine bestimmte Haltung einzunehmen und einem Gesprächsleitfaden zu folgen. Beides kann hilfreich ist, ist aber kein Garant dafür im Gespräch die beste Lösung zu finden.
An dieser Stelle bietet die vorangegangene vertiefte Ausarbeitung des Business Kontextes einen entscheidenden Vorteil. Durch das Offenlegen der zugrundeliegenden Fragestellung können die Führungskräfte viel klarer und sicherer benennen, ob ein gefundenes Ergebnis Gütekriterien wie Fairness, Umsetzbarkeit oder Nützlichkeit entspricht.
Nur so können die Führungskräfte ihre Resultate bewerten und ihr eigentliches Ziel erreichen: Die Erzielung eines optimalen Gesprächsergebnisses.
Führungskräfte treffen klare Entscheidungen in Bezug auf ihre Aufmerksamkeit bei Führungsseminaren.
- Ist der Inhalt nicht relevant oder nur mit hohem Aufwand anwendbar, dann wir die Aufmerksamkeit heruntergefahren.
- Ist der Inhalt relevant und dient der Erreichung der persönlichen Businessziele dann steigt die Aufmerksamkeit.
Als Seminaranbieter, Trainer und Personalentwickler liegt es in unserer Hand welchen Effekt wir erreichen wollen.
Business first als Paradigma für Führungskräfteseminare ermutigt zur vertieften Exploration von Führungskontexten als Grundlage für Kommunikationstools und Führungswerkzeuge. Business first stellt zudem die Ergebnisqualität von Maßnahmen nach klar definierten Gütekriterien in den Mittelpunkt.
Beides stärkt die unternehmerische Kompetenz von Führungskräften und führt zu nachhaltigem Unternehmenserfolg.
Über den Autor
Martin Uhl arbeitet seit 2009 als Trainer und Coach für Führungskräfte. Er ist für zahlreiche Großunternehmen national und international im Einsatz. Seit 2021 ist er Geschäftsführer der teamfactor GmbH in Overath.
Im Buch Trainerkarriere 2.0 beschreibt er seine persönliche Reise als Unternehmer bei der Gründung der teamfactor GmbH. Diese Erfahrungen haben ihn zu „Business first“ geführt. Beim BDVT-Online-Kongress wird er dazu den Vortrag „Business first – Paradigmenwechsel beim Führungskräftetraining“ halten.
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