Gerade im Technischen Vertrieb sind Projekte mitunter sehr komplex und mit vielen Stellschrauben und Weichen versehen. Umso wichtiger ist es, sich neben aktivem Training und der Entwicklung der Vertriebsmannschaft, auch regelmäßig mit Fehlern und Problemen auseinanderzusetzen. Nicht bearbeitete Fehler und Unzulänglichkeiten haben oft deutliche Konsequenzen und sie sind vor allem eins: Sie sind teuer! Auf der Habenseite bergen sie hingegen auch viel Potenzial für planbare und systematische Vertriebserfolge – so man denn bereit ist, sie anzugehen und auszumerzen.
Wenn Aufträge verloren gehen, weil Kunden insolvent werden oder in sanktionierten Gebieten ansässig sind, können wir das vertriebsseitig nicht beeinflussen.
Wenn Auftragsverluste allerdings entstehen, weil handwerkliche Fehler im Vertriebsprozess gemacht wurden, haben wir Potenzial. Eingehende Anfragen werden technisch gut, aber vertrieblich mangelhaft qualifiziert, Angebote sehen aus wie Lieferscheine, es werden ungerechtfertigte und zu hohe Nachlässe gewährt oder Umsatzpotenziale werden schlichtweg nicht erkannt und nicht aktiviert. Hohe Vertriebskosten, schlechte Nettorenditen, Verluste von Kunden und Marktanteilen, Blindleistungen und Mitarbeiterfluktuation: All das sind Felder, auf denen man in Sachen Fehlersuche wertvolle Erkenntnisse gewinnen kann.
Lernen vom Spitzensport
Wie so oft, kann bei großen Herausforderungen ein Perspektivwechsel hilfreich sein. Vergleichen wir ein Vertriebsteam einmal mit einer Profimannschaft im Sport. Denn Profivertrieb und Profisport haben durchaus viel gemeinsam. Beide benötigen fundierte Kompetenzen und Fähigkeiten, professionelles Equipment, Werkzeuge und Tools und ein fundiertes Wissen über den Gegner bzw. Wettbewerber. Und natürlich brauchen sie Disziplin, Ehrgeiz und die Fähigkeit, mit Niederlagen umzugehen. Dazu eine ordentliche Portion Motivation, gute Führung und eine kluge Strategie.
Im Sport sehen wir immer wieder, dass interessanterweise nicht unbedingt die Mannschaften oder Athleten am erfolgreichsten sind, die offensiv auf Angriff oder Sieg spielen. Es sind in vielen Fällen die, die in erster Linie darauf achten, weniger eigene Fehler zu machen als der Gegner. Wenn man kein Gegentor kassiert, keinen linken Haken durchlässt, die Bälle fehlerfrei übers Netz bringt oder nicht am Loch vorbeischlägt, wird ein Unentschieden beziehungsweise ein Sieg sehr viel wahrscheinlicher.
Diese interessante Entdeckung beschrieb Rolf Dobelli in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Die Kunst des klugen Handelns“. Die alltägliche Beratungspraxis bestätigt Dobellis Beobachtung. Wenn man Fehler im Vertrieb vermeidet und auch noch in der Offensive punkten kann, entsteht ein klares Bild, wie Technischer Vertrieb noch systematischer und erfolgreicher gelingen kann. Das Reduzieren und Vermeiden von Vertriebsfehlern gehört deshalb zu den wichtigsten Führungsaufgaben in Technischen Vertrieb.
Die drei größten Fehler im Technischen Vertrieb
Vertriebserfolg ist kein Zufall. Vertrieblicher Erfolg lässt sich so systematisieren, dass die Vertriebsergebnisse weniger personen- oder tagesformabhängig, sondern planbar und systematisch gewährleistet werden. Erfolge werden also skalierbar und wiederholbar und hängen nicht allein vom Talent der Mannschaft ab. Es braucht klare Prozesse, verbindliche Tools, fundierte Vertriebsfähigkeiten und eine hoch professionelle Führung!
Fehler Nummer 1: Fehlende oder überholte Vertriebsprozesse
Der Mythos, dass wirtschaftliche Erfolge nicht ohne weiteres wiederholbar sind, dass sie anhängig sind von unzähligen äußeren Faktoren, lebt weiterhin in vielen Köpfen. Vertriebserfolg lässt sich durchaus analysieren, erklären und systematisch entwickeln. Zwar bringen die Menschen, die hier arbeiten, ihre individuellen Charaktere mit. Sie bringen ihre eigenen Werte, Erfahrungen und Vorstellungen in die Arbeit ein. Damit dennoch eine sinnvolle Planbarkeit entstehen kann, sind Leitplanken in Form von akzeptierten und praktikablen Prozessen erforderlich. In der Produktion wäre es undenkbar, dass ein Produktionsmitarbeiter den Produktionsprozess eigenmächtig umstellen oder gar Teile oder Produkte in einer beliebigen anderen Reihenfolge fertigen würde, nur weil es eher seinem Naturell entspricht. Das würde niemand zulassen! Aber im Vertrieb dürfen alle mehr oder weniger so agieren, wie sie es für richtig halten.
Schlussendlich lassen sich alle Abläufe in Prozesse übersetzen. Wie werden Anfragen vorqualifiziert und bewertet? Wie werden kundenrelevante Prioritäten an den Innendienst weitergegeben? Wie ist das Buying Center auf Kundenseite aufgestellt, und wie können wir es im Sinne unseres Vertriebserfolgs beeinflussen? Welche Angebote werden wann und vom wem nachgefasst, und wie sorgfältig werden Nachfassgespräche vor- und nachbereitet? Wie kündigen wir notwendige Preisanpassungen an und setzen sie schließlich auch um?
Das sind beispielhaft nur wenige Fragen aus einem hoch komplexen Verlauf, zu denen sich Prozesse definieren lassen, an die sich die Mannschaft dann aber auch halten muss. Das ist die erste Voraussetzung für eine langfristige Übertragbarkeit und Skalierbarkeit der Verkaufsresultate.
Fehler Nummer 2: Fehlende oder nicht akzeptierte Vertriebstools
Ein weiteres Erfahrungsgefängnis in Technischen Vertrieben ist die Annahme, dass jeder Kunde und jeder Vertriebsvorgang ganz anders und damit individuell zu behandeln ist. Diese Annahme geht zu Lasten einer einheitlichen Kommunikation oder einer konsequenten Nutzung von vertrieblichen Leitfäden und Tools, die so weder sinnvoll noch möglich scheinen. Kaum ein anderer Fehler kostet mehr an Vertriebseffizienz, Planbarkeit und Nerven auf Seiten der Vertriebsführungskräfte. Natürlich ist jeder Kunde einzigartig und hat es verdient, dass man auf seine persönlichen Belange wertschätzend eingeht. Aber wie Kaufentscheidungen zustande kommen, folgt zu über 90 Prozent einem klaren Muster. Niemand will, dass Verkäufer wie Sprachcomputer agieren und starren Gesprächsleitfäden folgen. Aber besonders erfolgreiche Vertriebe zeichnen sich dadurch aus, dass Gesprächsergebnisse nicht zufällig entstehen und in einer akzeptierten Form intern weiterkommuniziert werden.
Definierte Tools und Leitlinien verhindern, dass Vertriebspotenziale ungenutzt bleiben, dass Reibungsverluste entstehen und dass Führungsarbeit ausschließlich am Ergebnis ansetzt und nicht innerhalb der Prozesse. Wenn festgeschriebene Tools und Leitlinien vorhanden sind und akzeptiert gelebt werden, entsteht ein gemeinsames Qualitätsverständnis und deutlich mehr Teamgeist. Die Führung des Vertriebs wird damit eindeutiger und stark vereinfacht. Und neue Teammitglieder lassen sich deutlich systematischer einarbeiten und integrieren.
Fehler Nummer 3: Nicht hinreichend entwickelte vertriebliche Kompetenzen
Bemühen wir noch mal die Parallele zum Sport: Stellen wir uns vor, ein Bundesligatrainer im Profifußball würde in einer Sportsendung Folgendes von sich geben: „Wir haben zwei neue Profis für mehrere Millionen Euro verpflichtet. Vom Training haben wir sie erst mal befreit. Beide können ja bekanntermaßen sehr gut Fußball spielen!“
Das ist eine geradezu absurde Vorstellung. Doch im Vertrieb ist das Training oft unterrepräsentiert. Die Leute laufen aufs Spielfeld und lochen immer mal wieder ein. Jeder agiert nach Tagesform, nach persönlichen Vorlieben, aus dem eigenen Erfahrungsgefängnis heraus. Nehmen wir mal als Beispiel die Kompetenz, richtig gut und zielführend Preise zu verhandeln. Es ist eine Tatsache, dass nur circa 15 Prozent aller Vertriebsmitarbeiter fundiert darin ausgebildet sind, Preise und Konditionen professionell durchzusetzen. Dabei treffen sie auf Einkäufer, die zu 95 Prozent sehr gut geschult sind in diesem Feld. Es entsteht ein massives Ungleichgewicht, das in der letzten Phase des Angebotsprozesses, der Preisverhandlung, aber auch bei Jahrespreisgesprächen und Preisanpassungen, zu echten und sehr teuren Problemen führen kann.
Aus Fehlern wird man klug. Und erfolgreich!
Gerade in den Fehlern liegen die Nuggets versteckt. Es lohnt sich also, zum Fehler- und Problemdetektiv zu werden. Jeder Fehler im betrieblichen Ablauf – und natürlich dessen Vermeidung – kann die Ergebnisse nach vorn bringen. Und den Teamspirit. Und die Mitarbeiterbindung. Denn Bestleistungen, die sicher abgerufen werden können, machen allen Freude.
Eine vertriebliche Fehlerkultur, die regelmäßig untersucht, warum Aufträge verloren gehen, warum der Neukunde nicht gewonnen wurde, wo Risiken übersehen und Potenziale verschenkt wurden, birgt ein hohes Learning in sich. Wo müssen Änderungen im Prozess vorgenommen werden? Welche Tools sind anzupassen? Welche Fähigkeiten müssen wir weiterentwickeln? Gehen Sie auf Spurensuche, denn gerade im Vertrieb kann man aus Fehlern wirklich etwas lernen!
Über den Autor
Ulrich Dietze ist geschäftsführender Gesellschafter der Deutschen Vertriebsberatung und Experte für Vertriebsprozessoptimierung, Training und Coaching im Technischen Vertrieb. Er ist Erfinder der Vertriebsmethode TQS (Total Quality Selling), die sich in technischen Branchen zu einem Qualitätsstandard für die Beurteilung und Optimierung vertrieblicher Prozesse und Kompetenzen entwickelt hat.
Nach einer erfolgreichen Vertriebskarriere mit den Stationen Außendienst, Gebietsverkaufsleiter und Verkaufsleiter gründete er 1992 sein eigenes Unternehmen, die Deutsche Vertriebsberatung GmbH. Seit Gründung hat er gemeinsam mit seinem Team maßgeblich zur Effizienzsteigerung und Erfolgssteigerung von über 3000 Unternehmen aus den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik und Logistik beigetragen. Er wurde für seine herausragende Arbeit mit dem Deutschen Trainingspreis des BDVT ausgezeichnet und ist ein empfohlener Kooperationspartner renommierter Verbände wie VDMA, VDI und VTH. Zudem engagiert er sich als Mitglied im Verband "Die Familienunternehmer" und als Fördermitglied im Bundesverband der Vertriebsmanager für die Weiterentwicklung des Vertriebswesens.