Von Christoph Moss
Der digitale Wandel ist überall spürbar. Menschen verbringen zunehmend Zeit mit Medienkonsum. Unternehmen stoßen bei Marketing und Kommunikation an Kapazitätsgrenzen. Um darauf zu reagieren, benötigen Sie die perfekte Organisation.
Das Prinzip, das hinter dem Orchestrieren von Marketing und Kommunikation steckt, heißt Corporate Newsroom.
Darunter verstehen wir eine räumlich zusammengefasste Steuerungseinheit für Marketing und Kommunikation. In einem Corporate Newsroom existieren getrennte Verantwortlichkeiten für Themen und Kanäle. Wichtig: Es gibt eine Person, die am Steuer sitzt. Diese nennen wir Chef:in vom Dienst (CvD). Wie genau die einzelnen Rollen zusammenwirken, werden wir im weiteren Verlauf dieses Buchs ausführlich diskutieren. Zunächst aber klären wir, warum ein Corporate Newsroom im digitalen Zeitalter sinnvoll ist.
Raus aus den Silos
Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ sind Gift für digitales Denken. Verzichten Sie auf politische Rücksichten und Proporzdenken. Dies sind ganz schlechte Gradmesser für eine effiziente Organisation. Orientieren Sie sich lieber am Markt und denken Sie nach vorn. Vor allem aber verlassen Sie Ihre alten Silos, die über Jahre historisch gewachsen sind:
• Pressearbeit,
• interne Kommunikation,
• Redenschreiben,
• Marketing,
• Veranstaltungen,
• Social Media und viele weitere mehr.
Silos arbeiten mit harten Grenzen. Es existieren Mauern zwischen den Räumen und in den Köpfen. Als wir vor mehr als zehn Jahren ein Newsroom-Projekt in einem Dax-Konzern begannen, gingen wir zunächst über den Flur der Kommunikationsabteilung. Verschlossene Türen, graues Ambiente, Totenstille. Hinter jeder Tür saßen Menschen in Einzel- oder Zweierbüros, deren Beruf mutmaßlich Kommunikation war. Ein gruseliges Gefühl des Nichtwillkommenseins, steril, deprimierend mit der Anmutung eines deutschen Finanzamts. Damals dachten wir, dies sei ein Einzelfall. Ein Trugschluss. Die Mauern waren überall, egal ob wir Marketing- oder Kommunikationsabteilungen betreuten. Viele Unternehmen haben die Silos inzwischen aufgelöst. Ein unausweichlicher Schritt hin zu einer digitalen Strategie.
Wenn Sie diesen Weg auch gehen wollen, sollten Sie dazu Strukturen in Ihrem Unternehmen kritisch hinterfragen:
• Wer will noch ernsthaft über Zuständigkeitsgrenzen von Kommunikation und Marketing diskutieren?
• Welche Abteilung mag noch die Bedeutsamkeit von Media Relations versus Produkt-PR abwägen?
• Wer will tatsächlich verantworten, die redaktionelle Hoheit über soziale Medien an IT-Verantwortliche abzugeben?
Eine digitale Kommunikationsstrategie integriert Storytelling und Content Marketing. Zusätzliche Kanäle lassen sich bei begrenzten Ressourcen allerdings nicht beliebig aufbauen. Gleichzeitig spüren Sie vielleicht auch Unsicherheit in Ihrem Team: Es ist die Furcht vor Veränderung, die einhergeht mit der Sorge um Kontrollverlust. Dieser Konflikt lässt sich nur lösen, wenn alle Beteiligten tatsächlich das neue Konzept mittragen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Sie Kompromisse eingehen und sich der Hauspolitik beugen.
Den Kontrollwahn beenden
Kommunikation bedeutet Interaktion. Soziale Medien sind längst Standard geworden. Deshalb müssen Unternehmen ihre Kanäle anders steuern als in der Vergangenheit. Dazu gehört ein professionelles Monitoring, das von Fall zu Fall auch nachts und am Wochenende stattfindet. Dies ist personalintensiv, weil die Verantwortlichen sprech- und reaktionsfähig sein müssen. In herkömmlichen, oft hierarchischen Strukturen kann dies zu Pannen und zu quälend langen Abstimmungsschleifen führen. Kommunikation auf Twitter oder LinkedIn kann aber nicht funktionieren, wenn Diskussionsbeiträge nur nach komplexen Freigabeprozessen publiziert werden. Kontrollwahn in der Kommunikation ist nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen sind Vertrauen und eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit wichtig.
Themenmanagement ist entscheidend
Vor einigen Jahren sagte mal ein bekannter Wirtschaftsjournalist, dass Unternehmen zu wenige Themen hätten, über die sie etwas sagen könnten. Dafür gebe es den Journalismus. Mit dem zweiten Teil seiner Aussage hatte er vollkommen recht. Genau diese Geschichten zu erzählen war und ist eine Aufgabe des Wirtschaftsjournalismus. Falsch war allerdings seine Feststellung, es gebe nicht genügend Themen. Das Gegenteil ist der Fall. Nur haben viele Unternehmen dies lange nicht erkannt. Jetzt, mitten in der Digitalisierung, ändert sich diese Wahrnehmung.
Im Corporate Newsroom stehen Themen im Mittelpunkt von Marketing und Kommunikation. Menschen senden Inhalte an Menschen. Über Instagram, WhatsApp, LinkedIn und unzählige weitere Plattformen. Gleichzeitig empfangen dieselben Personen aber auch Botschaften. Dies macht das Leben bunt, aber manchmal auch kompliziert. Häufig produzieren wir zu viel Information. Damit überfordern wir unser Publikum, weil Menschen es nicht gelernt haben, mit folgenden Fragen souverän umzugehen:
• Wann ist eine Information wichtig und wann nicht?
• Lohnt es sich, Zeit in die Verarbeitung der Neuigkeit zu investieren?
• Welcher Quelle kann ich vertrauen und welcher nicht?
Dieser Information Overload führt zu Überlastung. Folglich sollte Ihr Unternehmen weniger statt mehr kommunizieren. Effiziente Kommunikation heißt also in diesem Fall, die richtigen Themen zur richtigen Zeit an die richtigen Zielgruppen zu kommunizieren. Genau dies strebt ein Corporate Newsroom an.
Brücken bauen
Mit den sozialen Medien und Communities haben wir gelernt, neue Brücken zu bauen. Unabhängig von Raum und Zeit zu arbeiten. Zu Hause, im Büro oder unterwegs. Dabei bleibt der traditionelle Journalismus auf der Strecke. Können Sie sich noch an die Zeiten erinnern, als Ihr Unternehmen opulente Pressekonferenzen veranstaltet hat? Mit teuren Häppchen, vielleicht sogar in nobler Umgebung? Voll war es damals, weil sich Zeitungen und Sender für Sie interessierten. Diese Tage sind vorbei. Heute kommt niemand mehr zu Ihnen. Keine Zeit, kein Platz, kein Geld. Der Journalismus hat die Deutungshoheit verloren. Tageszeitungen kämpfen ums Überleben.
Es ist eine Entwicklung, die seit Jahrzehnten beobachtbar ist. Dies ist sehr problematisch für uns alle, weil guter Journalismus wichtig in einer funktionierenden Gesellschaft ist. Für Ihr Unternehmen geht damit ein wichtiges Stück Wahrnehmung verloren. Folglich müssen Sie auf andere Art und Weise um Aufmerksamkeit kämpfen. Indem Sie eigene Kanäle aufbauen und Ihre eigenen Themen dort spielen. Genau dafür brauchen Sie einen Corporate Newsroom.
Fazit: Das Prinzip, das hinter dem Orchestrieren von Marketing und Kommunikation steckt, heißt Corporate Newsroom.
Bei dieser Organisationsform werden Kampagnen vom Thema aus gedacht. Damit überwinden Sie alte Silos und bauen neue Brücken zu Ihren Zielgruppen.
Über den Autor
Prof. Dr. Christoph Moss unterrichtet Kommunikation und Marketing an der International School of Management. Er hat das Corporate-Newsroom-Modell entwickelt und mehr als hundert Mal umgesetzt – etwa bei Siemens, Fraport oder Swiss Life. Er war Desk-Chef im Handelsblatt-Newsroom und leitete die Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten. Christoph Moss ist geschäftsführender Gesellschafter der Agentur Mediamoss (Dortmund, Stuttgart) und Co-Gründer von AustriaContent in Wien.