Management, Führung

Die Evolution des Manage­ments

von Marcus Dissel­kamp

In der digitalen Transformation ändern sich Geschäfts- und Führungsmodelle: Es vollzieht sich eine Evolution des Managements

Digitale Transformation - Evolution des Managements

Die Würdigung von auch kleinen Projektfortschritten (1. Anerkennung), überhaupt die Bereitschaft zu kleinen Schritten (2. Akzeleration) mit noch nicht perfekten, jedoch seriösen Lernerfolgen (3. Agilität), die Fähigkeit zur kontinuierlichen Anpassung an sich ändernde Marktgegebenheiten (4. Adaptabilität), die ehrliche Delegation von Aufgaben und Verantwortung an die jeweiligen Experten einer Organisation (5. Autonomie), die Ausrichtung dezentraler Strukturen (6. Alignment), der Umgang mit den Ängsten der Betroffenen (7. Antifragilität) sowie die Balance zwischen Optimierung und Erneuerung (8. Ambidextrie), auch mittels Perspektiven- und Paradigmenwechsel (9. Abenteuerlust) – all diese neun Grundregeln der modernen Führung sind die Basis, um mit der Digitalisierung Geld zu verdienen.

Diese neun Prämissen bedeuten zudem eine Evolution des Managements.

Der Duden definiert den Begriff »Evolution« als eine langsame, bruchlos fortschreitende Entwicklung großer oder großräumiger Zusammenhänge. Und genau solch eine langsame, fortschreitende Entwicklung vollzieht sich bei den Grundregeln der modernen (Unternehmens- und Personal-)Führung. Viele der in diesem Buch aufgezeigten Prämissen, Leitbilder und Methoden sind nicht grundlegend neu. Sie wurden bereits vor Jahrzehnten theoretisch erdacht und erstmals in Trendsetterunternehmen ausprobiert. Doch wuchsen erst mit der Zeit die Akzeptanz und das Verständnis für ihre Vorteile und Notwendigkeit. Denn wer den digitalen Wandel und die digitale Transformation aktiv mitgestalten möchte, der benötigt diese neun Prämissen der modernen Führung. Wer hingegen an alten Führungsmodellen festhält, läuft Gefahr, von neuen Kundenanforderungen, neuen Technologien, neuen Geschäftsmodellen, neuen Wettbewerbern, neuen Standards und neuen Regulationen vom Markt gedrängt zu werden.

Wie aber sahen die früheren Modelle zur Führung von Unternehmen aus?

Kann man wirklich von einer Evolution des Managements sprechen? Wir reden heute von Industrie 4.0, manche auch von Management 4.0 bzw. Führung 4.0. Doch haben wir wirklich schon die vierte Stufe des Managements erreicht? Eher nicht:

Wir kommen erst langsam in die zweite Entwicklungsstufe des Managements!

Die zweite Stufe des Managements

Management 1.0

Taylorismus

Starten wir mit dem Management 1.0, dem Taylorismus bzw. »Scientific Management«, entwickelt von Frederick Winslow Taylor (1856–1915), dem Vater der wissenschaftlichen Betriebsführung. Nach diesem Ansatz galt – und gilt in manchen Firmen immer noch – die Ansicht, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens lediglich als Produktionsfaktoren zu sehen sind, deren Effizienz auf der Basis von Arbeitsbewertung und leistungsgerechter Entlohnung zu steigern ist. Die Effizienz führt zu Kostenvorteilen als Grundlage für das eigene Unternehmenswachstum. Ziel sind große Marktanteile und daraus resultierende mengenmäßige Kostenvorteile (sog. Skaleneffekte), dank der das Unternehmen attraktive Preise bieten und Kunden gewinnen kann.

Die industrielle Revolution

Management 1.0

Die von Taylor beeinflusste industrielle Entwicklung wird auch als die erste industrielle Revolution bezeichnet. Mit ihr vollzog sich Anfang des 20. Jahrhunderts der Übergang von der flexiblen, handwerklich orientierten Produktion zur industriellen und standardisierten Massenproduktion. Die Steigerung der Produktivität maschineller sowie menschlicher Arbeit geschieht durch die Teilung der Arbeit in konkrete Aufgaben mit Zielen, Erfolgsfaktoren und Kontrollwerten (Key Performance Indicators, kurz KPIs), so wie wir es heute noch in Stellenbeschreibungen und Stage-Gate-Projektprozessen kennen. Viele der heutigen Mitarbeiter in Callcentern, in der (Fließband-)Produktion, im Außendienst oder in der Logistik kennen diesen Managementansatz. Wir führen diese Mitarbeiter immer noch wie »Maschinen« mittels Zeit-, Leistungs- und Budgetzielen sowie optimierten, da standardisierten Prozessen und an Befehlsketten orientierten Organisationsstrukturen.

Der Lean-Management-Ansatz

Gegen Ende der 1980er-Jahre sprach die Managementlehre mit dem Aufkommen des Lean-Management-Ansatzes von einer zweiten industriellen Revolution. Hierbei erkannte man die Bedeutung einer integrierten Wertschöpfungskette von den Erzeugern von Rohwaren und Vorprodukten über die Hersteller von Endprodukten und Händler bis zum endgültigen Kunden und Nutzer. Es geht um Teamarbeit und Kooperation auch über die eigenen Firmengrenzen hinweg, um die kontinuierliche Verbesserung und simultane Entwicklung der F&E-Aktivitäten mit der laufenden Produktion, ein maximales Qualitätsmanagement (ja, sogar Total-Quality-Management, kurz TQM) und eine Just-in-Time-Belieferung zum Abbau von kapitalintensiven Lagerbeständen.

Benchmarking

Die Evolution des Managements - Benchmarking

In diesem Zusammenhang gewann der Ansatz des Benchmarkings eine besondere Bedeutung. Robert Camp formulierte 1989 in seinem Buch Benchmarking den Grundgedanken, das eigene Unternehmen mit seinen Prozessen, Kostenstrukturen oder Leistungsangeboten immer wieder mit führenden Industrieunternehmen aus der eigenen Branche oder fremden Industriezweigen zu vergleichen. Die Werte der führenden Industrieunternehmen geben dabei die Maßstäbe (engl. »benchmarks«) bzw. Kennzahlen vor, die zu Richtlinien der eigenen Leistung erhoben werden. Die Ergebnisse des Vergleichs sollen helfen, die Effektivität und Qualität der eigenen Produkte und Dienstleistungen zu verbessern. Camp definiert Benchmarking konsequenterweise als die Suche nach Lösungen, die auf den besten Methoden und Verfahren der Industrie, den »Best Practices«, basieren und ein Unternehmen zu Spitzenleistungen führen.

Doch schauen wir uns Lean Management und besonders Benchmarking genauer an. Bei diesen Ansätzen geht es – wie beim Taylorismus – immer noch um die reine Steigerung der Produktivität maschineller sowie menschlicher Arbeit. Daher in Abbildung 73 auch die Bezeichnung »Management 1.1« für die Benchmarking-Phase, während »Management 1.0« für die Taylorismus-Stufe steht. Zwar reifte gegen Ende der 1980er-Jahre die Erkenntnis, dass man sich nicht mehr nur dem Wachstum, sondern auch der Rentabilität bzw. den Unternehmenswerten zuwenden müsste, aber die Führung der Mitarbeiter und die Zusammenarbeit mit Lieferanten und Geschäftspartnern blieb auf dem Niveau des Taylorismus.

Menschen als Produktionsfaktor

Wir Menschen werden weiterhin als ein reiner Produktionsfaktor gesehen, der mithilfe von Best-Practice-Referenzen seine Leistung steigern soll. Die Wettbewerbsfähigkeit resultiert aus dem Kopieren und Nachahmen innovativer Ansätze von anderen. Eigene Kreativität, ein möglicher Perspektiven- oder gar Paradigmenwechsel sind gar nicht gewünscht. Man vergleicht sich mit dem Besten und ist dann stolz, wie dieser zu sein. Dass damit aber alle wieder nur vergleichbar sind, wird vergessen. Es dominiert der Mainstream, ohne eigene Alleinstellungsmerkmale. So rutschen all die Firmen, die einen reinen Benchmarking-Ansatz verfolgen, immer mehr in den Sumpf der Vergleich- und Austauschbarkeit.

Management 2.0

Management 2.0: Die Evolution des Managements

Anders nun die zweite Entwicklungsstufe des Managements, das Management 2.0. Basierend auf dem Grundprinzip der Delegation, wie schon in Druckers »Management by Objectives« oder dem deutschen Harzburger Modell vor Jahrzehnten angedacht, fördern moderne Manager eine Balance von dezentraler Autonomie und Eigenverantwortung, (fachlichen und sozialen) Kompetenzen, zentralen und langfristigen Visionen, Missionen und Strategien der Unternehmen.

Die Anpassung an sich gerade im Rahmen der digitalen Transformation ständig verändernde Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse, sich weiter entwickelnde digitale Technologien, neue Geschäftsmodelle und Wettbewerber sowie Regulationen vollzieht sich dank dem Verständnis einer notwendigen Ambidextrie, den Methoden zur Beschleunigung und Wendigkeit, doch vor allem auch aufgrund der Bereitschaft zum regelmäßigen Perspektiven- und Paradigmenwechsel (Abenteuerlust).

Wer diese Parameter berücksichtigt, der kann den digitalen Wandel aktiv für sich nutzen, neue Wettbewerbsvorteile generieren, an Attraktivität am Arbeits- und Kapitalmarkt gewinnen und als Unternehmen mit viel Spaß, Freude und Genugtuung der Zukunft entgegensehen.

Über den Autor

Dr. Marcus Disselkamp ist ein anerkannter Experte für Unternehmensstrategien in Zeiten des digitalen Wandels. Er ist einer der TOP100-Trainer im deutschsprachigen Raum und begleitet seit Jahrzehnten Firmen bei der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit, der digitalen Transformation sowie der Effizienz von Investitionen. Mehrere Tausend Teilnehmer von Strategie- und (digitalen) Innovationsprojekten sowie Managementtrainings überzeugte er schon mit seiner praxisnahen, methodisch ganzheitlichen und dynamischen Art und Weise. Visions-, Strategie-, Innovations- und Transformationsprozesse sind bei ihm in besten Händen. Er unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und Business Schools die Themen Strategisches Management, Innovationsmanagement und digitale Transformation. Zu diesen Themen existieren auch eine Vielzahl von Büchern und Podcast von ihm. Parallel zu seiner über 20-jährigen Tätigkeit in der Management-Beratung, übernimmt er immer wieder Organfunktionen als Beirat, Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat. So kann er auf Augenhöhe seine Kunden bei den wirtschaftlichen Herausforderungen sich verändernder Märkte, Kundenbedürfnisse, Wettbewerber, Regulierung und Geschäftsmodelle begleiten.