Von Dennis Fischer
Die soziale Empathie bildet – neben der emotionalen und der kognitiven – die dritte Säule der Empathieformen. Sie ermöglicht es dir, das Verhalten von Gruppen zu verstehen und zu beeinflussen. Du verstehst, wie ein Team denkt und fühlt, und kannst daraus gewisse Handlungen vorhersagen. Wenn du der Meinung bist, dass du gut vorhersagen kannst, wann die Stimmung in einer Gruppe umschlägt oder welche Beziehungen in einem Team herrschen, hast du vermutlich eine gut ausgeprägte soziale Empathie. Genau diese sozialen Dynamiken machen einen Großteil unseres Berufslebens aus. Nur, wenn wir uns in unsere Kolleginnen hineinversetzen können, verstehen wir auch die ungeschriebenen Spielregeln des Teams.
Von diesen drei Arten der Empathie werden Maschinen, Roboter und Künstliche Intelligenzen die zweite und die dritte bald simulieren und interpretieren können. Ich schreibe bewusst nicht, dass sie Empathie empfinden können. Ich bezweifle, dass ich es noch erleben werde, dass ein Roboter wirkliche Empathie empfindet.
Künstliche Intelligenz empfindet künstliche Empathie
Die kognitive Empathie können Sprachassistenten wie Alexa heute jedoch schon simulieren. Bereits 2018 hat Amazon ein Patent angemeldet, das Alexa in die Lage versetzt, die Stimme des Nutzers zu analysieren und daraus Rückschlüsse auf Krankheiten zu ziehen. Dieses maschinell erzeugte Mitgefühl nennt man in der Forschung »Artificial Empathy«. Die Forscher gehen allerdings noch einen Schritt weiter. Die Maschine erkennt nicht nur, wie du dich fühlst, sondern passt sich entsprechend an. Alexa könnte dann also mit einer wehleidigen Stimme antworten, die dir echte Empathie vorspielt. Natürlich schlägt sie dir dann auch direkt das passende Medikament vor und bestellt es gern in der hauseigenen Amazon-Apotheke.
Der »Echo Show« (die Video-Variante von Alexa) hat es hier in Zukunft noch leichter. Mithilfe der Kamera kann er deine Mimik, Gestik und Körpersprache interpretieren und viel exakter herausfinden, wie du dich gerade fühlst. Mit genügend Trainingsdaten sollte es dann auch kein Problem mehr sein, die soziale Empathie in einen Algorithmus zu verpacken und zu interpretieren. Anhand der Wortwahl in E-Mails können die digitalen Assistenten herausfinden, welche Stimmung im Team herrscht und wer die wirklichen Leader sind, lange bevor die offizielle Führungskraft es spürt.
Was jedoch noch viele Jahre uns Menschen vorbehalten sein wird, ist die emotionale Empathie. Wenn also der Physiker Stephen Hawking sagt: »Das Überleben der Menschheit wird davon abhängen, ob sie die Empathie retten kann. Denn alles andere könnten ohnehin Roboter machen, nur Empathie fehlt ihnen«, dann meint er damit die emotionale Empathie.
Empathie ist überlebenswichtig
Das Überleben der Menschheit wird aber nicht nur in Zukunft von Empathie abhängen, sondern ist laut Forschungen an der Johns Hopkins University der Grund, warum wir Menschen heute überhaupt noch leben. Die Forscher rund um James Harris gehen davon aus, dass Empathie im Laufe der Evolution noch wichtiger war als die Anpassungsfähigkeit oder »Survival of the fittest«.
Die Überlebenswahrscheinlichkeit war früher in einer Gruppe viel größer als für Einzelkämpfer. Als es noch keine Waffen gab, wurden wilde Tiere von einer Gruppe Menschen so lange zu Fuß gejagt, bis sie erschöpft zusammenbrachen oder eine Klippe hinabstürzten. Die Menschen waren also darauf angewiesen, in einer Gruppe zu interagieren und die Gefühle der anderen lesen zu können. Zu Beginn der Menschheit gab es nicht mal Sprache zur Verständigung. Was es aber gab, war Empathie.
Empathie existierte schon vor 100.000 Jahren
Wir können also annehmen, dass Empathie schon vor 100.000 Jahren existierte und es deshalb kein Wunder ist, dass sie auch in Zukunft eine sehr wichtige Rolle in unserem Leben spielen wird. Nicht nur in den sogenannten Empathieberufen, sondern in der gesamten Gesellschaft. Vielleicht hast du es während der Coronapandemie auch festgestellt: Je häufiger wir mit unseren Kolleginnen, Freunden, Verwandten und Kundinnen nur noch über den Computer kommuniziert haben, desto schwerer fiel es uns, wirkliche Empathie für sie zu empfinden.
Wenn ich meinen besten Freund besuche und sehe, wie sein Sohn und sein Hund zwischen unseren Beinen herumspringen, kann ich seine Situation sehr gut nachvollziehen. Wenn ich jedoch entspannt vor meinem Computer sitze, einen Aperol Spritz schlürfe und ihn über die Kamera dabei beobachte, wie er versucht Kind und Hund zu bändigen, fällt es mir schon deutlich schwerer, mich in seine Gefühlslage zu versetzen.
Aber nicht nur Corona hat es uns erschwert, wirkliche Empathie zu empfinden, sondern auch die Filterblasen der letzten Jahre. Je mehr Meldungen und Nachrichten ich von Menschen mit ähnlichen Ansichten sehe, desto häufiger fühle ich mich in meinen Gefühlen bestätigt. Gleichzeitig werde ich nicht dazu gezwungen, mich auch ab und zu in Andersdenkende zu versetzen und ihre Situation nachzuempfinden. Für mich ist es keine Überraschung, dass aktuell die Themen Rassismus und die Gleichberechtigung jeglicher sexuellen Orientierung in den Vordergrund rücken. Wir haben es uns in den letzten Jahren zu sehr in unserer eigenen Filterblase bequem gemacht und stellen auf einmal fest, dass unser Empathievermögen dadurch stark eingerostet ist. Kann man als weißer, heterosexueller Mann der Mittelschicht die Situation einer schwarzen, lesbischen Frau nachempfinden, die in prekären Verhältnissen lebt? Sicherlich nur schwer. Mithilfe von Empathie kann man sich jedoch der Situation annähern und ein Verständnis aufbringen, das beiden Seiten hilft.
Nur mithilfe von Empathie werden wir den aktuellen Herausforderungen und den großen Veränderungen der Zukunft begegnen können. Das 20. Jahrhundert war vor allem durch Selbstoptimierung und die Therapiekultur geprägt. Wir dachten, der beste Weg, um zu verstehen, wer wir sind und wie wir leben wollen, ist in uns hineinzuschauen. Jetzt stellen wir fest, dass die Selbstreflexion ein wichtiger Anfang ist, aber wirklich verstehen werden wir auch uns selbst erst, wenn wir uns für andere interessieren. Empathie wird der Beginn einer Revolution. Dabei geht es nicht um Gesetze, Institutionen oder Politik, sondern um radikale Menschlichkeit. Wenn es uns gelingt, die zwischenmenschlichen Beziehungen wieder zu stärken, können wir uns selbst eine wunderbare Zukunft erschaffen!
Über den Autor
Dennis Fischer ist Trainer und Keynote-Speaker zu „Future Work Skills“. Er studierte Internationales Management in Deutschland und Frankreich. Nach zwei Stationen in Start-ups in Berlin und einem Ausflug in einen großen Konzern hat er 2016 den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. Heute begleitet Dennis Fischer zahlreiche namhafte Kunden dabei, ihre Mitarbeiter fit für die Arbeitswelt der Zukunft zu machen. Nach dem Erfolg seines Buches „52 Wege zum Erfolg“, das vom Hamburger Abendblatt als „TOP 10 Wirtschaftsbuch 2019“ ausgezeichnet wurde, widmet er sich in seinem neuen Buch den wichtigsten Soft Skills der Zukunft.
Nicht erst seit Corona wissen wir, dass die Arbeitswelt im Wandel ist und wir in den nächsten zehn Jahren neue Fähigkeiten und Fertigkeiten benötigen, um erfolgreich zu sein.
In seinen inspirierenden Keynotes möchte er seine Zuschauer inspirieren und motivieren, sich selbst und ihre Mitarbeiter kontinuierlich weiterzubilden, um fit für die Zukunft zu werden.
Wenn Dennis Fischer nicht gerade auf der Bühne steht oder seinen Podcast produziert, trifft man ihn beim Trailrunning in den Münchner Bergen. Dort nimmt er auch gerne einmal an einem 52 Kilometer langen Lauf quer durch das Karwendel teil.