Viele greifen alle paar Minuten zum Handy – meist unbewusst. Doch dieser Dauer-Online-Modus kostet Energie, Fokus und Gelassenheit. In diesem Auszug aus „Gelassenheit für Eilige“ zeigt Martin-Niels Däfler, wie ein kluger Umgang mit dem Smartphone gelingt. Mit alltagstauglichen Tipps, Humor und dem nötigen Ernst macht er Mut zur digitalen Entgiftung – für mehr Ruhe, Klarheit und echte Verbindung.
Digital Detox
Selbst wenn wir aus beruflichen Gründen gar nicht unser Handy nutzen müssen, tun wir es auch privat, und zwar nicht nur freiwillig, sondern fast schon wie ein Junkie. Bei vielen Menschen vergeht keine Viertelstunde, bis sie wieder zu ihrem Smartphone greifen. Man verweilt dann vielleicht nur ein paar Minütchen an seinem Gerät, aber die Vielzahl der Unterbrechungen führt in der Summe dazu, dass wir so unglaublich viel Zeit am Bildschirm verbringen. Nur ist uns das nicht bewusst, weil wir eben nicht ununterbrochen drei oder vier Stunden an unserer Gurke sitzen, sondern 40- oder 50-mal für jeweils nur fünf Minuten.
Manch einer hat die Zeichen erkannt und bemüht sich redlich, sein Handy weniger zu nutzen. Da bucht man vielleicht sogar einen Urlaub in einem Hotel ohne WLAN und Handyempfang. Ferien im Funkloch – ein Slogan, mit dem einige Hotels bewusst werben. Mittlerweile haben sogar Reiseveranstalter reagiert. Neulich habe ich einen Katalog eines Studienreise-Unternehmens gesehen, in dem stand, dass zu Beginn der Reise die Handys aller Gäste eingesammelt werden. Früher musste man beim Betreten einer Burg seine Waffen aushändigen, heute gibt man sein Handy ab.
Doch es ist nur eine Minderheit, die solche Reisen bucht oder versucht, im Alltag ihren Smartphone- und Tablet-Konsum zu mäßigen. Höchste Zeit also für eine elektronische Entgiftungskur oder auf Neudeutsch für einen „Digital Detox“. Das Prinzip ist schnell erklärt: Wenn man es – zumindest zeitweise – schafft, auf den Gebrauch digitaler Kommunikationsmittel zu verzichten, dann hat dies eine ähnlich heilende Wirkung auf die Seele wie eine Fastenkur für den Körper.
Dabei geht es gar nicht darum, grundsätzlich Smartphone-abstinent zu werden. Vielmehr ist es das Ziel, elektronische Hilfsmittel bewusst(er) zu verwenden. Dies zeigt auch eine Studie von Julia Brailovskaia (2023) von der Ruhr-Universität Bochum. In einer Experimentalstudie konnte sie zeigen, dass es uns deutlich besser geht und dass wir weniger depressiv sowie ängstlich sind, wenn wir unsere übliche Zeit am Handy nur um eine Stunde reduzieren. Die Studie legt zudem nahe, dass eine kontrollierte Reduktion der Smartphone-Nutzung vorteilhafter für das Wohlbefinden und einen gesunden Lebensstil ist als eine vollständige Abstinenz.
Das Smartphone überlegter nutzen
Damit sind wir beim praktischen Teil angelangt. Wie kann es gelingen, das Smartphone weniger beziehungsweise überlegter zu nutzen? Hier ein paar Empfehlungen:
#1 Überprüfe deinen Smartphone-Konsum
Das ist schon wirklich paradox: Alle mir bekannten Smartphones haben die Möglichkeit, sich anzeigen zu lassen, wie oft und wie lange man am Bildschirm war. Außerdem gibt es Apps, mit denen du deinen Handygebrauch überprüfen und damit reduzieren kannst. Der Mechanismus funktioniert wie bei den WeightWatchers. Statt Kalorien wird jedoch gezählt, wie häufig du dein Smartphone aktivierst, was du damit machst und wie lange du es genutzt hast. So wird dir vielleicht erst einmal bewusst, wie viel wertvolle Zeit du mit deinem Handy verbringst, was dann in der Einsicht münden kann, selbiges weniger häufig zu verwenden.
#2 Deaktiviere die Benachrichtigungsfunktion
Die wohl einfachste Art, sich nicht ständig ablenken zu lassen, ist es, in den Einstellungen die Benachrichtigungsfunktion zu deaktivieren. Du kannst für jede App festlegen, ob und wie du über Neuigkeiten/Nachrichten informiert werden willst. Bei mir hat es keine fünf Minuten gedauert und ich hatte für alle Apps diese Funktion ausgeschaltet. Herrlich! Nie mehr rote Kreise mit warnenden weißen Ziffern darin, die mich auf Ungelesenes hinweisen. Nie mehr vibriert es, wenn eine neue Mail eintrifft und nie mehr macht es „bing bing“, wenn eine WhatsApp eintrudelt.
#3 Lege bewusste Smartphone-Auszeiten (SAZ) ein
Mach dir klar: Wenn du nicht gerade als Rettungssanitäter arbeitest, musst du nicht ständig erreichbar sein. Man muss ja nicht gleich zwölf Stunden offline gehen – viel wäre schon gewonnen, wenn du es mindestens einmal pro Tag schaffen würdest, eine SAZ einzulegen. Mach es wie bei einem Fitnesstraining: Zu Beginn legst du dir ja auch nicht gleich 50-Kilo-Scheiben auf die Stange, sondern fängst mit einem viel niedrigeren Gewicht an. Also: Die erste Woche eine Stunde SAZ, die Woche darauf eineinhalb Stunden und die dritte Woche zwei Stunden. Steigere dich so lange, wie du es aushältst.
#4 Lösche alle Apps, die du nicht brauchst
Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass wir die meisten Apps, die wir heruntergeladen haben, nur ein paar wenige Male nutzen und dann geraten sie in Vergessenheit. Wie Hemden oder Hosen, die uns irgendwann mal gefallen oder gepasst haben, nun aber aus der Mode geraten oder zu klein geworden sind und unseren Kleiderschrank verstopfen, nehmen diese Apps Platz ein und – noch wichtiger – fordern unsere Aufmerksamkeit. Mache also mal Frühjahrsputz auf dem Smartphone und lösche alle Apps, die du nicht (mehr) brauchst.
#5 Stelle im Privatleben klare Regeln auf
Im Beruf ist der Gestaltungsspielraum oft nicht sonderlich groß und man wird auf offene sowie verdeckte Widerstände stoßen, wenn man verlautbaren lässt, sein Smartphone bewusster zu nutzen und nicht mehr innerhalb von Minuten auf WhatsApp oder Teams-Nachrichten zu antworten. Anders verhält es sich im Privatleben, erst recht in der Familie, wo du es durchaus selbst in der Hand hast, was du tust und was du lässt. Rege doch mal an, im Familienrat ein paar Regeln zu beschließen, wie etwa:
- Während der Mahlzeiten ist der Gebrauch sämtlicher elektronischer Geräte tabu.
- Am Sonntag werden Handys und Tablets nicht vor 16 Uhr verwendet.Ich bin gespannt, wie deine pubertierenden Kinder diesen Vorschlag bewerten.
- Erkläre das Wohnzimmer zur „smartphonefreien Zone“.
- Bei gemeinsamen Aktivitäten (im Restaurant Essen gehen, spazierengehen, Gesellschaftsspiele machen ...) kommen alle Smartphones in eine „Kuschelkiste“, in der sie gemeinsam verweilen, bis die Aktivität vorüber ist.
#6 Starte den Morgen nicht mit einem Blick aufs Smartphone
Was ist das Erste, was du nach dem Aufwachen tust? Wenn du dich wie viele Mitbürger verhältst, dann ist es der Griff zum Smartphone. Wir haben die Augen noch nicht richtig auf, da prüfen wir, wer in der Nacht was auf Facebook gepostet hat, und lesen im Nachrichtenportal, wie die Montagsbegegnung in der Zweiten Fußball-Bundesliga ausgegangen ist. Und schon sind wir im Online-Modus.
Das ist gerade so, als wenn der Alkoholiker unmittelbar nach dem Aufstehen die Kornflasche ansetzen würde. Ein bisschen Souveränität können wir uns zurückerobern, wenn wir die Zeit bis nach dem Frühstück digital abstinent bleiben. Wenn wir, statt Instagram-Bilder zu betrachten, vielleicht mit dem Partner darüber sprechen, was ihn/sie heute erwartet. Oder wenn wir die Zeit nutzen, um ein paar Lockerungsübungen zu machen?
Oft hat es einen ganz praktischen Grund, weshalb wir instinktiv morgens aufs Handy starren: Wir nutzen unser Smartphone als Wecker. Und so wundert es nicht, dass wir nach dem Betätigen der Schlummertaste gleich mal einen Blick in unsere bevorzugte News-App werfen. Kauf dir für ein paar Euro einen Wecker, der nichts anderes kann als wecken. Dein Smartphone hat Schlafzimmerverbot und übernachtet in der Küche. So fällt es deutlich leichter, diesen Tipp umzusetzen.
Eine Frage des Selbstbewusstseins
Der aus meiner Sicht wichtigste Impuls zum Thema „Digital Detox“ beziehungsweise Smartphoneverzicht zum Schluss:
Der kluge Umgang mit dem Handy ist eine Frage des Selbstbewusstseins.
Muss ich mich (gesellschaftlichen) Normen derart anpassen, dass ich in Minutenschnelle auf Mails antworte, jeden Insta-Post kommentiere und jede noch so lapidare Trash-Meldung lese?
Ich bin mir sicher: Du wirst genauso geliebt und bist beruflich genauso erfolgreich, wenn du nicht alles weißt und nicht die Reaktionszeit von Schießpulver an den Tag legst. Versuche, dich in kluger Ignoranz zu üben sowie dein legitimes Recht auf Nichterreichbarkeit durchzusetzen!
Übung: Ich lasse das Handy liegen
Um dich daran zu erinnern, die „Ablenkungsmaschine Handy“ möglichst selten zu nutzen beziehungsweise nur für die Zwecke, die wirklich sinnvoll sind, habe ich mir im 3x3-Flow eine passende Geste ausgedacht:
- Lege deine Hände vor deine Augen, mache dich also selbst temporär blind.
- Halte die Augen auf diese Weise für circa fünf Sekunden geschlossen.
- Sage währenddessen still zu dir: „Ich lasse das Handy liegen.“
Über den Autor
Prof. Dr. Martin-Niels Däfler (Jahrgang 1969) ist Experte für Stress, Gelassenheit und Resilienz. Seit über 25 Jahren hält er zu seinen Schwerpunktthemen Vorträge, berät Firmen und coacht Führungskräfte. In mehreren Büchern hat er sein Wissen darüber bereits veröffentlicht. Daneben ist Däfler als hauptamtlicher Professor an der FOM Hochschule in Frankfurt am Main tätig. Dort unterrichtet er unter anderem die Fächer Psychologische Gesprächskompetenz sowie Selbstmanagement.

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