Von Jan Hartwig und Sabine Steinbeck
Es ist ein typischer Februartag. Kalt, nass und grau. Ich steige am Münchner Hauptbahnhof aus dem ICE, fahre mit der U-Bahn zum Marienplatz und gehe die letzten Meter zu Fuß. Mein Ziel: das traditionsreiche Hotel Bayerischer Hof. Ich bin ein bisschen aufgeregt und vor allem bin ich neugierig, was sich hinter dem Leitsatz des mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Kochs Jan Hartwig »Heute besser sein als gestern und morgen besser sein als heute« verbirgt.
Wir beide sitzen uns im Gourmet-Restaurant ATELIER gegenüber, das zum Hotel gehört. Hier ist Jan Hartwig zu dieser Zeit Küchenchef. Ich kenne Jan und werde ihn daher durchgängig duzen. Auch das Restaurant ist mir nicht unbekannt, weil ich hier bereits schon einige Male zum Essen oder, besser gesagt, zum Schlemmen war. Das Design wurde vom renommierten belgischen Kunsthändler und Interior-Designer Axel Vervoordt geschaffen. Auf der Website des Hotels ist zu lesen, dass es das Flair eines Künstlerateliers mit intimer Atmosphäre hat. Die Tische sind mit frisch gebügelten und gestärkten Tischdecken sowie großen runden Platztellern aus Stein eingedeckt und das Restaurant hält damit, was es verspricht: luxuriös und schlicht.
Gäste sind keine hier, dafür ist es noch viel zu früh. Es ist später Vormittag und das Restaurant öffnet erst um 19 Uhr seine Türen. Dennoch geht es schon turbulent zu. Nicht nur die Mitglieder der Küchenmannschaft sind bereits auf ihren Posten und kümmern sich darum, dass jeder Gast am Abend ein unvergessliches Menü bekommen wird, sondern auch das Serviceteam ist schon aktiv. Wobei der Service normalerweise »erst« um 14 Uhr startet. Heute steht noch ein Fotoshooting an, deshalb ist auch der Service bereits im Einsatz. Alle bereiten sich mit großer Professionalität und Vorfreude auf die heutigen Gäste vor. Nie zuvor war ich so früh hier, und ich bin zutiefst beeindruckt, welche Arbeiten verrichtet und welche Vorbereitungen getroffen werden, damit am Abend für den Gast auch wirklich alles perfekt ist. Ein Abend im ATELIER ist vergleichbar mit einem großartigen Konzert. Egal ob es ein Klassik-, ein Rock- oder ein Popkonzert ist: Auch hier werden schon lange vor dem Einlass der Fans große Vorarbeiten geleistet, damit es ein unvergesslicher Abend wird. Die Instrumente werden gestimmt, der Soundcheck wird durchgeführt, das Bühnenbild wird arrangiert … Von alldem bekommt der Konzertbesucher nichts mit, und so geht es auch dem Gast im ATELIER. Vermutlich will auch ein Musiker morgen besser sein als heute, aber was genau versteht Jan Hartwig für sich und sein Team unter diesem Anspruch?
»Für mich ist genau das der Schlüssel zum Erfolg!«, sagt Jan. Er sagt das mit viel Leidenschaft und großer Überzeugung. »Dieses Credo beeinflusst und begleitet mich mit gewaltiger Kraft. Es hat für mich sehr viel damit zu tun, dass man nicht zu weit nach links und rechts schaut, sondern dass man sich auf sich selbst fokussiert. Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, der meine Karriere so schnell steil nach oben gehen ließ. Ich habe keine Adaptionen gemacht, sondern mich ausschließlich auf mich selbst fokussiert. Immer wieder reflektiere und frage ich mich, was habe ich gestern gut gemacht, was habe ich gestern schlecht gemacht und was kann ich daraus lernen? Dabei schaue ich nicht, was ein anderer besser oder schlechter macht, sondern ich konzentriere mich ausschließlich auf mich. Deshalb ist mir dieser Leitsatz so wichtig für mein Handeln und Denken.«
Im Restaurant EL BULLI bei Ferran Adrià – er gilt als einer der einflussreichsten Köche der Gegenwart und ist Mitbegründer der Molekularküche – hat Jan den Satz zum ersten Mal gehört: »Heute besser sein als gestern und morgen besser sein als heute.« Er wusste sofort, dass dieser Anspruch das beschreibt, was ihn persönlich als ehrgeizigen und zielorientierten Menschen täglich antreibt. Bei den Eigenschaften ehrgeizig und zielorientiert hat vermutlich jeder sofort ein Bild im Kopf, wie so ein Mensch aussehen mag, der das von sich behauptet. Ich erlebe einen Jan Hartwig, der supersympathisch ist, nicht lange überlegen muss, was er sagt, und mir vermittelt, dass er genau weiß, was er will, und vor allem auch, was er nicht will.
So führt er weiter aus: »In dem Moment, in dem ich mich selbst reflektiere, vermeide ich es auch, neidisch zu sein. Und das macht mich sehr frei. Wenn ich immer nur schaue, was meine Kollegen bekommen haben und was ich bekommen habe oder eben auch nicht, dann ist das nicht zielführend und es bringt mich keinen Schritt weiter.«
Kleiner Exkurs zum Thema Neid
Lieber Leser, lassen Sie uns einen kleinen Exkurs zum Thema Neid machen. Wir alle kennen das Gefühl, neidisch zu sein, und doch geben wir es nicht gerne zu, denn Neid ist nicht gerade eine Tugend und dieses Gefühl bringt uns nicht weiter. Psychologen unterscheiden zwischen drei Arten von Neidgefühlen: Es gibt den destruktiven, den depressiven und den positiven Neid. Betrachten wir an dieser Stelle nur mal den Positiven Neid, der am Ende dann doch gar nicht positiv ist: »Diese Art des Neids kann Ehrgeiz wecken und als Ansporn dazu dienen, selbst besser zu werden. Im Prinzip will man sein Gegenüber nicht zerstören, sondern sich selbst neu erschaffen. Allerdings birgt dieser Wunsch die Gefahr, zum Double der Person zu werden, die Sie bewundern.« In einem späteren Kapitel dieses Buches begegnet uns noch der Satz: »Wir werden alle als Original geboren, aber viele von uns sterben als Kopie.«
Jan ist sich dieser Gefahr absolut bewusst. Genau aus diesem Grund hat er sich entschieden, nicht neidisch zu sein, sondern die Ärmel hochzukrempeln und jeden Tag sein Bestes zu geben. Nicht nach rechts und links zu schauen, sondern immer noch ein bisschen besser als gestern zu sein. Dadurch genießt er die Unabhängigkeit, er selbst sein zu können.
Erfolgsformel und Übung
Jans persönliche Erfolgsformel:
Heute besser sein als gestern und morgen besser sein als heute
Schauen Sie nicht darauf, was andere tun! Das verführt uns leicht dazu, jemanden »nur« zu kopieren oder neidisch zu sein. Beides bringt uns nicht den gewünschten Erfolg. Arbeiten Sie stattdessen täglich an Ihrer eigenen Performance! Das bringt Sie an die Spitze.
Übung
Leuchttürme sind Schifffahrtszeichen, die insbesondere nachts weit sichtbar sind. Sie dienen der Positionsbestimmung, der Warnung vor Untiefen oder der Fahrwassermarkierung. Überlegen Sie doch mal, wer in Ihrem Leben so ein Leuchtturm sein könnte? Für mich ist ein Leuchtturm auch eine Art Mentor. Ein Mensch, vielleicht auch mehrere Menschen, von dem oder denen ich lernen kann und die mir auch aufzeigen, welche Stolperfallen es auf meinem Weg geben kann. Leuchttürme gibt es für alle möglichen Lebens- und Arbeitsbereiche. Hier nur einige Themenfelder: achtsamer Umgang mit mir selbst, etwas für den Klimaschutz tun, ehrenamtlich tätig werden, Umgang mit Geld, Wunschgewicht erreichen, ein Team führen, eine »Marke« werden, ein Unternehmen aufbauen, fokussiert arbeiten …
In welchen Bereichen wünschen Sie sich Leuchttürme? Nehmen Sie ein Notizbuch und schreiben Sie die Themenfelder auf. Im nächsten Schritt überlegen Sie, welche Leuchttürme Sie zu den entsprechenden Themen kennen, und schreiben die Namen dieser Menschen hinter Ihre Themenfelder. Anschließend priorisieren Sie und los geht’s.
Schauen Sie genau, was Ihnen an dem entsprechenden Leuchtturm gefällt. Nehmen Sie Kontakt auf und bitten Sie um ein Gespräch.
Sagen Sie Ihrem Leuchtturm, warum Sie sich für ihn entschieden haben, und stellen Sie Ihre Fragen. Hören Sie gut zu und nehmen Sie das für sich mit, was Ihnen am meisten weiterhelfen wird. Nicht alles, Erfolgsformel und Übung was Sie erfahren, wird zu Ihnen passen. Denken Sie daran, es geht nicht darum, jemanden zu kopieren, sondern den eigenen Weg zu finden.
Vielleicht haben Sie auch einen Leuchtturm, den Sie nicht ansprechen können oder wollen. Ein Promi vielleicht oder der CEO Ihrer Firma. Dann schauen Sie genau, was ihn zu Ihrem Leuchtturm macht. Was würden Sie gerne von ihm lernen? Beobachten Sie ihn genau, sammeln Sie Informationen und finden Sie wieder Ihren eigenen Weg!
Über den Autor
Jan Hartwig ist einer von nur zehn Drei-Sterne-Köchen in Deutschland. Nach seiner Ausbildung in Braunschweig kochte er während seiner Grundausbildung bei der Bundeswehr 2003 im Offizierskasino Achum und ab 2004 bei Pomp Duck and Circumstance. 2005 wechselte er zum Zwei-Sterne-Restaurant Kastell bei Christian Jürgens in Wernberg-Köblitz. Es folgten zwei Stationen in späteren Drei-Sterne-Restaurants: Ab 2006 im GästeHaus Erfort bei Klaus Erfort in Saarbrücken, ab 2007 im Restaurant Aqua bei Sven Elverfeld in Wolfsburg, wo er ab 2009 Souschef war. Im Mai 2014 wurde er Küchenchef im Restaurant Atelier im Hotel Bayerischer Hof in München. Das Restaurant Atelier wurde 2015 mit zwei und seit 2017 mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. 2016 wurde Jan Hartwig als erster Koch überhaupt vom Feinschmecker sowohl zum Koch des Monats als auch zum Koch des Jahres gewählt. 2020 kürte der Schlemmer Atlas ihn zum Spitzenkoch des Jahres und 2021 ernannte ihn „Der große Restaurant- & Hotel-Guide“ zum Koch des Jahres. 2022 wurde er von den Kritikern für Restaurants und Wein der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum Koch des Jahres gewählt. Jan Hartwig hält Vorträge in Unternehmen und war Gast in erfolgreichen TV-Shows wie z.B. The Taste und Kitchen Impossible.
Sabine Steinbeck hat Diplom-Pädagogik mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung studiert. Nach dem Studium arbeitete sie für unterschiedliche Trainingsinstitute und half unzähligen Menschen dabei, ihre Stärken zu erkennen und richtig einzusetzen. Anfang der Neunziger zog es die Gastronomen-Tochter dann in die Gastronomie. Sie übernahm ein Bistro mit fast 20 Mitarbeitern. Nach knapp 15 Jahren ging sie zurück in ihren Beruf und bildete für ein internationales Gesundheitsunternehmen mehr als 1.000 Coaches aus. Im weiteren Verlauf übernahm sie in diesem Unternehmen eine verantwortungsvolle Stelle im B2B-Bereich, mit der Aufgabenstellung, namhafte Unternehmen bei der Prävention der Mitarbeiter zu unterstützen. Sabine Steinbeck kennt somit beide Seiten der Berufswelt – die des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers. Heute profitieren ihre Kunden von ihren fundierten Ausbildungen, ihrer Lebens- und Arbeitserfahrung und ihren guten Netzwerken. Ihr Herz schlägt für die Themen Werte, Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit, insbesondere in der Gastronomie.