von Daniel Fitzke
Ob für Präsentation, Website, Flyer oder Hochzeitsrede: Viele googeln sich dafür schnell ein Zitat zusammen. Doch falsche Zitate haben fatale Folgen. Denn wo alle nur noch voneinander abschreiben, verbreitet sich unhaltbarer Unsinn schneller als Herpes im Straßenkarneval. Dabei könnten wir den meisten Unfug leicht als unhaltbar entlarven.
Einer der besten Tipps?
Einer der besten Tipps, die ich je von einem Rhetoriktrainer bekommen habe, war der, niemals in einer Rede ein Zitat zu verwenden. Wir haben das länger diskutiert, ich sah es nicht ein und er blieb hart. Irgendwann sagte ich, dass Zitate doch sehr gut meine Botschaft unterstreichen könnten. Wenn ich beispielsweise eine Rede über Re-Sourcing schreibe, passt doch wunderbar Schillers Zitat:
„Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“.
„Wo steht das denn?“, fragte er mich listig. Zum Glück wusste ich, dass es Wilhelm Tell war. Das ließ er mir durchgehen. „Man sollte den Kontext schon kennen und mit einem Werk vertraut sein“, meinte er. Dann wäre es okay.
Die Diskussion hat mich lange beschäftigt. Heute weiß ich: Der Mann hatte recht. Und er kannte seine Pappenheimer. Es ist eine weit verbreitete Unsitte, mal eben schnell noch ein Zitat zusammen zu googeln. Nicht nur für Reden und Ansprachen – auch Flyer, Roll-Ups, Webseiten (sowieso), Weihnachtskarten und Imagebroschüren künden immer wieder gern von der Bildungsferne ihrer Verfasser.
Kostprobe gefällig?
„Wege entstehen, indem man sie geht“
lese ich auf dem Flipchart eines euphoriebeseelten Team-Kick-Offs bei einem Unternehmen, in dem ich zu Gast sein durfte. Darunter steht: Franz Kafka. Wer im Deutschunterricht ein bisschen Kafka für Anfänger, und sei es auch nur für zwei Stunden mitbekommen hat, könnte hier schon stutzen. Aber die Schulzeit ist lange vorbei, und schließlich stand es ja im Internet. Und was im Internet steht, muss wahr sein – das glauben leider nicht nur Chemtrail-Gläubige und Anhänger von Donald Trump. Fakt ist: Das Zitat ist nirgendwo in den Schriften Franz Kafkas zu finden. Ich habe dem Team seine Begeisterung gelassen und nicht rumgeätzt. Zwei Tage später finde ich dasselbe Falschzitat auf dem Roll-Up-Banner eines Vereins, der sich für politische Bildung stark macht. Auf der Bühne einer Schulaula. Im Saal jede Menge Schülerinnen und Schüler. Die Gebildeten der Zukunft. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?
Einstein war kein Bienenzüchter
Auf der Liste honoriger Persönlichkeiten, mit denen wir die Bedeutung unserer Botschaften gerne unterstreichen, darf einer auf keinen Fall fehlen: Albert Einstein! Nur wenigen großen Denkern werden so viele falsche Zitate untergejubelt wie ihm. Auch hier ließen sich die meisten durch minimales Nachdenken als das entlarven, was sie sind: Vielleicht ganz nett, aber mit Bezug auf Einstein mit großer Wahrscheinlichkeit blanker Unfug.
„Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben”, soll Einstein einmal gesagt haben. Stimmt, der war ja auch Biologe. Der Erfinder der Evolutionstheorie. Oder nicht? Ach nein, Physiker. Verfasser der bahnbrechenden Relativitätstheorie, die unser physikalisches Weltbild und unsere Vorstellung vom Universum völlig auf den Kopf gestellt hat. Aber vielleicht war er auch Bienenzüchter? Davon ist nichts überliefert.
Um es kurz zu machen: Das Zitat kommt im gesamten Werk Einsteins und in allen Archiven, die sich mit ihm beschäftigen, kein einziges Mal vor. Keine Überraschung für all jene, die das Denken nicht den Suchmaschinen überlassen. Trotzdem findet sich das Zitat 9.070 Mal im deutschsprachigen Internet. In den meisten Fällen wird es Albert Einstein zugeschrieben. Ich schätze die Arbeit der zahlreichen Imkervereine, die ihre Website mit dem Zitat schmücken sehr. Aber sowas passiert leider, wenn einer vom anderen abschreibt. Und dann darf man sich fragen: Braucht es unbedingt ein abgeschriebenes Zitat, um auf den Wert der eigenen Arbeit und die Bedeutung der Bienen für den Planeten aufmerksam zu machen? Zumal es auch nicht besonders originell ist, eine Botschaft zu wiederholen, die auch tausende anderer Internetseiten ziert.
Ende gut, alles gut?
„Am Ende wird alles gut sein. Wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende.“
Der Ausspruch wird wahlweise John Lennon oder Oscar Wilde zugeschrieben. Von keinem der beiden ist aber überliefert, dass sie es gesagt, geschrieben oder gesungen haben. Das vermeintliche Zitat schmückt zahlreiche Kalenderblätter, tausende von Websites und eine unbekannte Zahl von Mentaltrainer-Präsentationen. Hinzu kommen T-Shirts, Tassen und vermutlich Millionen von Instagram-Posts. Treffer im Internet: 1.580.
Natürlich gibt es eine Reihe von Varianten und wahlweise auch andere Quellen. „Chinesisches Sprichwort“ geht natürlich immer. Wer kann das schon überprüfen? Ach ja. Das Zitat ist sogar echt. Es stammt von dem (mir ehrlich gesagt unbekannten) portugiesischen Schriftsteller Fernando Sabino. Wer korrekt zitieren will, sollte ihn also bemühen. Were es tut, sollte jedoch darauf vorbereitet sein, von einem Kenner auf das Werk Sabinos angesprochen zu werden. Aber gut, das Risiko sollte beherrschbar sein.
Wie wäre es mit etwas mehr Kreativität?
Dabei können Zitate eine ganz wunderbare Bereicherung für jedes Format sein, mit dem wir unseren Ideen und Botschaften Ausdruck verleihen wollen. Statt der plumpen Botschaft: „Ich zitiere, also bin ich wichtig“, ermöglichen sie es uns, aus dem unermesslichen Pool menschlicher Ideen, Gedanken und Pointen zu schöpfen und sie in einen neuen Kontext zu setzen. Das bedeutet aber auch, dass wir den ursprünglichen Kontext einigermaßen kennen und verstehen sollten. Das heißt zum Beispiel konkret:
- Wer eine buddhistische Weisheit zitiert, sollte sich doch zumindest mehr oder weniger intensiv mit dem Buddhismus und seinem Weg zur Erleuchtung befasst haben. Und natürlich sollte das Zitat dann auch eine echte buddhistische Weisheit sein.
- Wer z. B. John Maynard Keynes zitiert, sollte großes Interesse an Wirtschaft und sich in Grundzügen mit dem Werk von Keynes beschäftigt haben. Idealerweise stammt das Zitat dann auch nicht aus irgendeiner Online-Zitatesammlung (da werden Keynes auch schon mal Aussagen untergeschoben, die eher der marxistischen Wirtschaftstheorie zuzuordnen sind, aber Kennern wird das sofort auffallen), sondern ist einem aus der eigenen Lektüre in lebhafter Erinnerung geblieben.
- Wer sich an Gedichten und Balladen von Goethe erfreuen und berauschen kann, darf Goethe zitieren. Wer Faust beim Ringen um Erkenntnis und Lust auf der Bühne erlebt hat und die Bilder und Worte danach nicht mehr aus dem Kopf bekommt, darf auch zitieren. Sogar ohne jemals zuvor etwas von Goethe gelesen zu haben. Wer nur „Zitat“ und „Goethe“ googelt, sollte es lassen. Sonst steht am Ende Goethe drunter, in Wirklichkeit handelt es sich aber um Schiller, ein chinesisches Sprichwort oder eine Strophe aus einem Chartbreaker von den Fantastischen Vier.
Und jetzt? Wie wäre es, mehr aus dem eigenen Erleben zu kommen? Filme und Serien geben Unmengen von Stoff für Zitate ab, die Sender und Empfänger in weiten Teilen verstehen und sofort zuordnen können.
Ein Kunde von mir hat vor seinen Beschäftigten einmal eine großartige Präsentation gehalten. Er ist Geschäftsführer eines IT-Unternehmens. Unter IT-Profis gibt es unglaublich viele Star-Trek-Fans. Die ganze Präsentation war auf Motiven von Star Trek aufgebaut und sorgfältig durchchoreografiert. Es ging darum, das Team auf einen Auftrag einzuschwören, der nahezu Unmögliches von ihnen verlangte. Im Erfolgsfall würden sie zu gefeierten Helden und es würden sich neue Perspektiven für das Unternehmen ergeben.
Beim Scheitern wäre klar, dass sie alle für den Misserfolg des Projektes verantwortlich gemacht würden. Es ging im Übrigen um freiwillige Teilnahme. Diejenigen, denen das eine Nummer zu groß war, durften ablehnen, ohne Konsequenzen zu befürchten. Alle anderen waren mit an Bord. Auf der letzten Folie stand das legendäre Zitat von Jean-Luc Picard (und nicht von Patrick Stewart!):
„Failure is no Option!“
Das saß. Danach war Stille. Gänsehaut. Räuspern. Dann trafen alle ihre Entscheidung. Die meisten folgten dem Captain auf diese Mission, und gemeinsam brachten sie das schon verloren geglaubte Projekt in einer unglaublichen Teamleistung in die Erfolgszone. Das ist großartiges Storytelling, und so geht gutes Zitieren.
Jetzt stellen Sie sich vor, der Geschäftsführer hätte noch nie eine Star-Trek-Folge gesehen, weil er Science Fiction gar nicht mag. Das Zitat hat er zufällig irgendwo in einer Zitatsammlung gefunden und fand es irgendwie passend. Wer dieser Jean-Luc Picard ist, interessiert ihn nicht, er hat jedenfalls noch nie etwas von ihm gelesen oder gehört. An für ihn passender Stelle hätte er das Zitat in seine Präsentation eingebaut … Merken Sie was?
Es muss nicht Kino und nicht Hollywood sein. Wer Winnie the Pooh liebt oder geliebt hat, kann aus den Büchern seiner Kindheit zitieren. Asterix-Fans dürfen sogar auf Latein zitieren – dann aber bitte übersetzen und im Kontext einordnen. Sportlerinnen und Sportler können von ihren großen Vorbildern oder von ihrem Trainer aus der Kreisliga erzählen. Das ist tausendmal interessanter als lebloses Netzwissen. Vielleicht gibt es auch ein schönes Zitat vom Großvater, der Ausbilderin, einen Spruch von einer Hauswand gelesen oder aus einer Karnevalssitzung – es gibt so viele Möglichkeiten, intelligent und kreativ zu zitieren, wenn es denn wirklich ein Zitat braucht.
Hilfe beim Entlarven von Falschzitaten
Kritisches Hinterfragen ist der erste Schritt auf dem Weg zur Qualitätssicherung beim Zitieren. Gesunder Menschenverstand. Eine konkrete Quellenangabe auf Werk oder Kontext ist ein gutes Indiz. „Goethe“ als Quellenangabe ist beliebig. „Goethe, Briefe an Eckermann“ ist präziser. Und es gibt direkt Aufschluss darüber, dass das Zitat nicht von einer literarischen Figur Goethes handelt, sondern aus einer Sammlung von Briefen, in denen er ganz unmittelbar seine eigenen Gedanken geäußert hat. Denn eine Figur in Literatur, Theater oder Film kann eine ganz andere Haltung verkörpern als der Autor des Werks oder die Person, die die Rolle spielt.
Gezieltes googeln kann auch helfen, Falschzitate zu entlarven. Wer sich die Mühe macht, im Netz nach unterschiedlichen Versionen von einem Zitat zu suchen, stößt vielleicht auf Ungereimtheiten. Gibt es verschiedene Varianten? Werden vielleicht unterschiedliche Quellen angegeben? Gibt es das Zitat auch als chinesisches Sprichwort? Wenn ja: Lieber auf das verführerisch schöne Zitat verzichten und etwas aus der eigenen Lektüre oder Erfahrungswelt bemühen.
Eine weitgehend verlässliche Quelle ist Wikiquote, eine als Wiki angelegte Zitatsammlung. Hier wird in der Regel sehr gründlich recherchiert und die Qualitätssicherung erfolgt ähnlich wie bei Wikipedia. Allerdings können sich auch hier schon mal Fehler einschleichen. Das Valentin-Zitat mit der Kunst ist dort unter anderem mit Verweis auf eine Werksausgabe als Hörbuch zu finden, ohne dass die Quelle genauer spezifiziert ist. Zitatforscher Gerald Krieghofer hat dazu auf Anfrage erklärt, dass es sich eindeutig um ein Falschzitat handelt und dass die Aussage so nicht im Werk von Karl Valentin zu finden ist.
Womit wir beim Stichwort Zitatforschung sind. Denn es gibt sie, die Faktenchecker, die Falschzitate entlarven und das auch akribisch herleiten. Gerald Krieghofer listet in seinemli Blog „Zitatforschung“ derzeit über 500 Falsch- und Kuckuckszitate, die im Internet kursieren. Es lohnt sich unbedingt, hier einmal nachzuschauen und ein Zitat ggf. zu überprüfen. Die Trefferquote ist erschreckend hoch.
Wer zitiert, trägt Verantwortung
Wer zitiert, trägt Verantwortung. Als Rednerin, als Autor, als Führungskraft, als Geschäftspartner – wenn ein Zitat inspiriert, werden andere es im Vertrauen darauf aufgreifen, dass die Zitierenden wissen, wovon sie sprechen. Wissen sie das nicht, tragen sie zu Verbreitung von Falschzitaten bei. Einigen mag das egal sein, Hauptsache es sieht gut aus und erweckt den Anschein von Bildung. Spätestens dann aber, wenn die Adressaten selbst ein bisschen Bildung genossen haben und das Falschzitat auffliegt, kann es peinlich werden.
Alle sollten also ein unmittelbares Interesse daran haben, beim Zitieren eine gewisse Sorgfalt walten zu lassen. Falls es überhaupt eines Zitates bedarf. Vielleicht hat man ja auch selbst etwas zu sagen?
Über den Autor
Daniel Fitzke ist Kommunikationsmanager und Betriebswirt mit langjähriger Erfahrung als Kommunikationsberater, Pressesprecher und PR-Redakteur. Als Berater, Trainer und Coach begleitet er Menschen und Unternehmen bei der Entwicklung eines prägnanten Profils und bei der Vermittlung klarer Botschaften – von der Positionierung und Strategieentwicklung bis zur operativen Umsetzung. Dabei reicht sein Erfahrungsschatz von der Arbeit für Großkonzerne über mittelständische Unternehmen aus Dienstleistung, Industrie und Handwerk bis hin zur Begleitung von Freiberuflern und Solo-Unternehmern. In Seminaren, Workshops und unterhaltsamen Vorträgen gibt er sein umfangreiches Wissen über die strategische und operative PR-Arbeit weiter. 2018 ist mit „30 Minuten Schreibblockaden lösen“ sein erstes Buch im GABAL Verlag erschienen.