Wirtschaft, Gesellschaft

Ausbil­dung im Home­of­fice – geht das überhaupt?

Eine aktuelle Umfrage hat gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Azubis in Deutschland im vergangenen Jahr im Homeoffice gearbeitet haben. Da stellt sich die Frage: Wie kann das gelingen?

Die GABAL Autoren Claudia Schmitz und Sebastian Mauritz haben zu dem Thema ein Gespräch geführt.

Ausbildung im Homeoffice – geht das überhaupt?

Sebastian Mauritz: Durch die Coronakrise ist das Thema Ausbildung ja ein völlig anderes geworden. Die Frage, die sich stellt, ist:

Funktioniert Ausbildung auch im Homeoffice – und wenn ja: Wie?

Claudia Schmitz: Vor März 2020 war der Gedanke abwegig, Azubis ins Homeoffice zu schicken, da Betreuung und Kontrolle dadurch scheinbar unmöglich werden würden. Dann aber hatten die Unternehmen gar keine andere Wahl, genau diesen Schritt zu gehen – das galt sowohl für die kaufmännischen als auch für die gewerblich-technischen Auszubildenden. Während man bei den kaufmännischen Azubis versuchen konnte, die Bildung mit Laptop fortzusetzen, wurde das bei den gewerblich-technischen Azubis, die normalerweise in der Ausbildungswerkstatt arbeiten, deutlich schwerer. Es stellte sich also die Frage „Wie machen wir das?“. Keiner hat in diesem Bereich Erfahrungen mit Homeoffice und schon gar nicht in Bezug auf Auszubildende.

Was sind die Herausforderungen einer Ausbildung im Homeoffice?

Claudia Schmitz: Wie sich Homeoffice für Azubis gestaltet, hängt zum einen vom Berufsbild ab und zum anderen auch davon, wie fit der Azubi ist, gerade im Umgang mit dem Arbeitslaptop. Die sogenannte „Wisch-Kompetenz“, die man bei der Smartphone-Nutzung lernt, lässt sich nicht unbedingt auf andere digitale oder technische Bereiche wie beispielsweise das Konferenztool Microsoft Teams übertragen. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass für die Auszubildenden teilweise gar kein eigener Laptop vorgesehen ist. Dann müssen schnell Geräte organisiert werden, und es stellt sich die Frage, ob die Auszubildenden diese überhaupt bedienen können. Oft werden nämlich den Azubis Digitalkompetenzen unterstellt, die gar nicht oder nur geringfügig vorhanden sind. Für viele war es bereits eine Herausforderung, aus einem Word-Dokument ein PDF-Dokument zu machen. Manchmal sind entsprechende Programme auch gar nicht vorhanden und die Azubis haben auf privaten Geräten – wenn überhaupt – nur eine Version von Open Office, die sie aber gar nicht benutzen. Es kommt sogar vor, dass manche Auszubildende für uns alltägliche Symbole wie das Speichersymbol nicht zuordnen können, weil sie statt einer Diskette einen Kaffeeautomaten in dem Zeichen sehen.

Was brauchen Azubis im Homeoffice?

Die Auszubildenden sind es aus der Schule gewohnt, eine vorgegebene Struktur zu haben. Es ist wichtig, das auch in der Ausbildung umzusetzen, denn nur wenige sind zur Selbständigkeit erzogen worden. Einen Wake-up-Call zu machen ist beispielsweise eine Möglichkeit, dem Azubi Regelmäßigkeit und Rhythmus zu geben. Diese Calls sollten aber nicht als Kontrollmöglichkeit genutzt werden, sondern vor allem dazu dienen, dem Azubi Hilfe zu leisten, falls er Probleme hat. Viele sind mit Ausbildungsbeginn von zu Hause ausgezogen und im Homeoffice auf sich allein gestellt. Der Ausbildungsverantwortliche sollte sich daher unbedingt um gute Betreuung kümmern. Nur eine Aufgabe mit Frist an den Azubi zu leiten, reicht nicht aus. Manche Azubis sprechen ihre Probleme nicht von sich aus an, daher muss man ihnen die Hilfe auch teilweise ganz konkret anbieten, in dem man nachfragt, ob die Aufgabe verstanden wurde oder wie es ihm generell geht.

Was bringt digitales Lernen mit sich?

Ein entscheidender Punkt ist, dass die Azubis im Homeoffice meist konzentrierter lernen und arbeiten können, als es in der Schule oder bei Teamtrainings der Fall ist, da sonst viele Reize und Impulse für Ablenkung sorgen. Wie aber bringt man prozedurale Abläufe wie das Schreiben einer Rechnung oder den Prozess des Reifenwechsels ins Homeoffice? Das Lernen und Verstehen solcher Abläufe macht zum Teil 50 bis 80 Prozent der Ausbildung aus. Gerade der motorische Aspekt ist kritisch zu betrachten, denn solche Abläufe sollte man nicht nur sehen und beobachten, sondern auch selbst durchführen. Zum Lernen gehört beispielsweise, die Schwere des Reifens beim Wechsel zu spüren, entsprechend muss vielleicht Muskulatur aufgebaut werden. Dieses Begreifen im wahrsten Sinne ist im Homeoffice nicht möglich, die Primärerfahrung (das direkte, am eigenen Leib erfahren) bleibt aus. Gerade für technische Azubis oder Handwerker ist es schwierig, Gefahrensituationen beim Arbeiten zu erkennen, wenn sie diese zuvor nicht erfahren konnten. Für Ausbildungsbetriebe ist es daher wichtig, zu verstehen, was inhaltlich ins Homeoffice übertragen werden kann und wo die Ausbildung an ihre Grenzen stößt.

Wie kann man Ausbildungsprogramme „pandemiefester“ machen?

Die Coronakrise gibt uns die Möglichkeit, Ausbildung einmal grundsätzlich zu hinterfragen, besonders den Ablauf und das System betreffend. Mit einem neuen Bewusstsein für Abstand lässt sich Ausbildung in Zukunft vielleicht anders gestalten. Statt einer starren Unterrichtsstruktur könnte man flexible Module planen, die sowohl in Präsenz als auch von zu Hause aus digital durchführbar sind. Flexibilität ist nämlich ein ganz wichtiger Punkt, wenn es darum geht, auf eine weitere Krise vorbereitet zu sein. Da oft ein Gefälle zwischen Ausbilder und Azubi besteht, würde es sich auch anbieten, das Peer-Learning weiter zu vertiefen und das Lernen in Gruppen in beispielsweise einer Quarantänezeit möglich zu machen. So können die Azubis voneinander lernen und sich austauschen, während der Ausbilder zu Teilen entlastet wird. Zum Glück gibt es mittlerweile viele Plattformen und Tools, die das digitale Lernen und Nachvollziehen von theoretischen Inhalten sowie von prozeduralen Abläufen möglich machen. Ausbilder müssen da gar nicht mehr viel machen.

Was ist sonst noch wichtig im Umgang mit Azubis im Homeoffice?

Unter Auszubildenden gibt es immer betreuungsintensivere Personen und High Performer, denen man zu gleichen Teilen gerecht werden muss. Die einen benötigen mehr Unterstützung, die anderen vielleicht eher eine Herausforderung. Im Homeoffice brauchen die Azubis vor allem eine vorgegebene Struktur und einen Plan, an den sie sich halten müssen. Für besonders wichtig erachte ich die Sorge um die persönlichen Befindlichkeiten des Azubis im Homeoffice. Als Ausbildungsverantwortlicher muss ich den Kontakt pflegen oder mich darum kümmern, dass die Azubis untereinander sprechen und sich austauschen. Und dabei geht es nicht in erster Linie um Lerninhalte, sondern darum, wie sich die Leute fühlen, wie es ihnen geht und ob sie vielleicht an der ein oder anderen Stelle eine Herausforderung haben.